Salzburg: Inzest und andere Bräuche Siziliens

Theater in Salzburg. Emma Dantes flotte Truppe tobte sich im "Republic" aus.

Die vier Aufführungen des "Young Directors Project" bei den Salz burger Festspielen kommen in diesem Jahr aus Österreichs Nachbarländern. Da sollte man eine kulturelle Vertrautheit erwarten. Doch die zwei kurzen Stücke, die die junge sizilianische Regisseurin Emma Dante am Dienstag mit ihrer "Campagnia Sud Costa Occidentale" im "Republic" präsentierte, hatten einen Hauch von Exotik, als ob sie aus dem tiefsten Herzen Afrikas kämen. Man fühlt sich zurückversetzt in ein fernes Jahrhundert.

Einen fremdartigen Brauch beschreibt das von Dante verfasste "Carnezzeria": Das fröhliche Braut-Schlachten. Weil die ledige Nina (Manuela Lo Sicco) mit ihrer Schwangerschaft Schande über die Familie bringt, wird sie zur Tilgung dieser Schuld von ihren Brüdern Paride, Toruccio und Ignazio (Gaetano Bruno, Sabino Civilleri, Enzo Di Michele) zur Opferbank geführt. Die jungen, verschwitzten Männer bringen Nina nach einer Schiffsreise zu einer Schein-Hochzeit. Leucht-Girlanden, ominöse Astern, Lichterketten - eine Szene wie auf dem Parkplatz eines Gebrauchtwagenhändlers. Man wartet auf den Bräutigam, zeigt sich Familienfotos. Die Brüder vollführen seltsame Handlungen, während sie im Stakkato unverständliches Italienisch reden. Es geht um Pferdchen-Spiele, einen brutalen Vater.

Das ist amüsant gemacht, effektvolles, körperbetontes Theater mit Schwung und Musikalität. Die Braut, im weißen Kleid der Mamma mit einem Kreuz auf dem gewölbten Bauch steht steif da, fällt manchmal um, wird wieder aufgerichtet. Sie reden erinnerungssüchtig wie bei einer Familienfeier, doch das nette Intime schlägt immer stärker ins Bedrohliche um. Besonders Paride neigt zum Sadismus. Er wird zum Schluss den Schleier der Braut symbolisch an den Boden nageln. Es geht also auch ohne die praktische Lupara. Nina steigt auf einen Stuhl, zum Sühnetod. Zuvor kann sie sich aber komödiantisch austoben. Das Kind im Bauch hüpft rekordverdächtig auf und ab, es will raus, darf nicht. "Schließ die Beine! Die Beine müssen geschlossen bleiben!", befiehlt Toruccio. So ist das in Palermo. "Dieses Kind ist heilig", hofft die Mutter. Da wetzen die Brüder schon die Werkzeuge.

Fremd wirkt diese atavistische Gesellschaft, vertraut, um nicht zu sagen abgefahren hingegen der Einakter "La Scimia", nach Tommaso Landolfis Roman "Zwei späte Jungfern". Dante macht daraus ein blasphemisches Stück. Es verletzt religiöse Gefühle. Zwei schwarz gekleidete Schwestern (Lo Sicco, Valentina Picello) feiern anfangs mit zwei schwarz gekleideten jungen Priestern (Gaetano Bruno, Marco Fubini) die Messe, auf Lateinisch, in seltsamer Verfremdung: frömmlerisch und um Keuschheit bemüht, doch zugleich auch zuckend und ekstatisch.

Die Damen sind, wenn man die Skrupel ablegt, köstlich anzusehen. Ihr verräterisches Spiel mit dem Geheimnis bereitet auf das exzessive Finale vor. Die Schwestern haben nämlich einen Affen (Sabino Civilleri). Der imitiert die Messe, wirbelt nackt über die Bühne, präsentiert dem Publikum den Hintern, entweiht den Altar, schwingt sich aufs Kreuz. Schließlich frisst er neben Erdnüssen auch noch Hostien, speit sie aus, was die Gesellschaft ins Entsetzen stürzt. Die Geistlichen beginnen einen engagierten Dialog über den freien Willen, dessen Negativität, das Universum als Körper Gottes. Der höllische Spaß hat also durchaus ernste Momente. Das Wesentliche am Frevel ist, dass der Ketzer weiß, was er tut. Dante ist vom Fach. Ihre Farce verletzt, sie ist drastisch - und wirkt doch befremdlich altmodisch. Alles schon gehabt. Soll man den Affen einschläfern? Nein. Er ist ja keine sündhafte Mafia-Braut. Ab mit ihm nach Afrika!

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