Alice Herz-Sommer: Den Holocaust um 69 Jahre überlebt

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Alice Herz-Sommer ist im Alter von 110 Jahren in London gestorben. Sie wurde mit 16 das jüngste Mitglied der Deutschen Musikakademie Prag.

In ihrem Elternhaus verkehrten Franz Kafka, Gustav Mahler und Sigmund Freud; sie wurde mit 16 das jüngste Mitglied der Deutschen Musikakademie Prag: Alice Herz-Sommer war eine Tochter der jüdischen Geisteselite von Prag. Wegen ihrer Abstammung sperrten sie die NS-Barbaren zwei Jahre lang in das Konzentrationslager Theresienstadt. Sie hat es überlebt: 69 Jahre nach der Befreiung durch die Rote Armee ist sie, die älteste bekannte Überlebende des Holocaust, nun in London gestorben, sie wurde 110 Jahre alt. Sie sei am Sonntag nach zwei Tagen im Krankenhaus im Kreis ihrer Familie in London friedlich eingeschlafen, erklärte ihr Enkel Ariel Sommer.

Herz-Sommers Mutter starb im Konzentrationslager, später auch ihr Mann, der Geiger Leopold Sommer. Auf die Frage, wie sie das Leben im KZ ausgehalten habe, antwortete sie einmal: „Da gibt es nur ein Wort der Erklärung: die Musik.“ In Theresienstadt, wo die Nazis zeitweise Kulturbetrieb erlaubten, um der Öffentlichkeit ein normales Leben vorzugaukeln, spielte sie Bach, Beethoven, Schubert, Chopin, alles auswendig.

Nach dem Ende des NS-Regimes spielte sie mit dem Hauptrichter der Nürnberger Prozesse vierhändig; für den Angeklagten Adolf Eichmann fühlte sie keinen Hass, nur Mitleid. Sie hasse nie, sagte sie: „Hass bringt nur Hass hervor.“ Franz Werfel habe geschrieben, man müsse der Menschheit alle Sünden verzeihen, wenn ein Beethoven herauskam. „Und er hat recht.“

Nach 1945 litt Herz-Sommer unter dem kommunistischem Regime in der Tschechoslowakei. 1947 emigrierte sie nach Israel, unterrichtete am Konservatorium in Jerusalem. 1986 übersiedelte sie nach London zu ihrem Sohn, dem Cellisten Raphael Sommer. Bis 92 konnte sie ihr Klavierrepertoire auswendig; als ihre Zeigefinger steif wurden, studierte sie einen Teil davon mit einem Acht-Finger-System neu ein.

Doku ist Oscar-nominiert

Alice Herz-Sommer wurde in mehreren Dokumentationen porträtiert: „Chopin hat mich gerettet“ hieß eine, „Die Pianistin von Theresienstadt“ eine andere. Die neueste Doku „The Lady In Number 6: Music Saved My Life“ ist am Sonntag bei der Oscar-Verleihung in der Sparte Kurzdokumentarfilm im Rennen. Sie sei jüdisch, sagt sie darin, doch Beethoven sei „ihre Religion“. „Ich glaube, ich lebe meine letzten Tage, doch das macht nicht wirklich etwas, weil ich solch ein wunderschönes Leben gehabt habe. Und das Leben ist wunderschön, Liebe ist wunderschön, Natur und Musik sind wunderschön. Alles, was wir erleben, ist ein Geschenk, das wir schätzen und an jene weitergeben sollten, die wir lieben.“ (APA/red.)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.02.2014)

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