Mit Thielemann in die vierte Dimension geschaut

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Die Staatskapelle Dresden gastierte mit zwei Konzerten im Goldenen Saal und demonstrierte große Orchesterkultur mit deutscher und österreichischer Romantik. Radu Lupu fügte sich mit Beethoven ins poetische Spiel.

Kein Dirigent seit Herbert von Karajan genoss beim Wiener Publikum solch geradezu kultische Verehrung. Sie kippt nach Musikvereins-Auftritten regelmäßig ins Groteske, wenn die jeweils von einem Sprung gekrönte Verbeugungszeremonie mit heftigen Bravo-Salven quittiert wird. Das Zirkushafte dieses Vorgangs steht in seltsamer Weise quer zur Ernsthaftigkeit der Darbietungen, die vorangehen.

Am Beispiel von Richard Straussens Tondichtung „Ein Heldenleben“, die schon mindestens viermal auf Christian Thielemanns Programmen seit seinem Debüt im Jahre 2000 stand: Von Anbeginn fesselte die Klangsinnlichkeit. So detailfreudig kann Strauss die Geschichten in seinem tönenden Bilderbuch gar nicht ausmalen, dass Thielemann nicht jeden einzelnen Strich von seinen Musikern nachvollziehen ließe.

Doch je länger die Beschäftigung dauert, desto mehr, hat man den Eindruck, vertraut der Kapellmeister auch auf die unvergleichlich sichere Instrumentationstechnik des komponierenden „Kollegen“ Strauss. Mit Bezug auf die Hörner schrieb der einmal einem jungen Dirigenten ins Stammbuch: „Wenn du sie überhaupt hörst, sind sie schon zu laut.“

Der Dirigent liebt alle Kinder

Thielemann, bei aller Übersicht zuzeiten nicht ganz frei davon, der Versuchung nach Überbetonung „schöner Stellen“ nachzugeben, hat sich nicht nur diesen Satz zu Herzen genommen: Wenn am Ende der „Liebesszene“ just die Hörner noch einmal mit dem Thema ansetzen, hört man sie freilich; aber man hört nicht nur sie! Die imposante polyphone Mischtechnik im Ausklang der musikalischen Romantik zeugt viele Kinder. Thielemann führt sie uns alle vor, bevorzugt nicht die auf den ersten Blick hübschesten vor allen andern.

Was analytische Klarheit anlangt, setzte die Aufführung von Bruckners Fünfter noch eins drauf. Mochte man im Kopfsatz den Eindruck gewinnen, der Dirigent sei allzu getragen unterwegs, setze architektonische Blöcke eher neben- als gezielt aufeinander, wurde das komplizierte Finale zum Meisterstück interpretatorischer Strategie.

Die klanglich fast pointillistisch anmutende Durchführungspassage – von manch früherem Bruckner-Exegeten vorsichtshalber eliminiert! – schien diesmal messerscharf durchorganisiert: Als wollte ein Wissender uns durch ein sonst verhängtes Fenster auf ein Formenspiel blicken lassen, das die Linien in ungeahnten Dimensionen miteinander verwebt.

Doch blieb alles harmonisch strömende Musik. Im gigantischen Schlusschoral lösten sich die Verwicklungen in schieren Wohlklang auf – und man war froh, dass der Dirigent auch den Einsatz zum Applaus gab, um ihn vom Verklingen des Schlussakkords abzusetzen.

Kammermusik mit Radu Lupu

Es sei nicht vergessen: Radu Lupu gelang es am ersten Abend, mit dem traumverloren schönen Spiel des Orchesters mitzuhalten und sich in Beethovens Viertem Klavierkonzert als ein Mitglied der Staatskapelle Dresden zu präsentieren: subtil, lyrisch-verhalten, unprätentiös, ein Virtuose der Introversion, dem man glauben möchte, dass Beethoven im Mittelsatz der singende Orpheus vorschwebte, wie er die Dämonen der Unterwelt bezwingt.

Liszts „Orpheus“ hatte den Anfang gemacht: ätherisch schwebend, ganz Harmonie. Dorthin fand man mit Bruckner wieder zurück. Was zwischendrin sich ereignete, gehört in die Annalen der großen Wiener Konzerterlebnisse.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.03.2014)

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