Wozzecks Winterreise ins Abstrakte

Matthias Goerne
Matthias Goerne(c) www.marcoborggreve.com
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Matthias Goerne singt nach dem New-York-Gastspiel Alban Bergs Antihelden auch im Stammhaus der Staatsoper und freut sich auf ein Festwochen-Schubert-Abenteuer.

Matthias Goerne ist in den kommenden Wochen mit bedeutsamen Projekten im Wiener Musikleben präsent. Ab morgen, Sonntag, singt er in der Staatsoper den „Wozzeck“. Bei den Festwochen präsentiert er dann einen ungewöhnlichen, multimedialen Schubert-Abend.

Den Titel-Antihelden der Alban-Berg-Oper hat Goerne seit Langem im Repertoire: „Ich habe ihn schon gesungen, als ich noch keine dreißig war – unter Christoph von Dohnányi in Zürich“, erinnert er sich. Und er hält diese Partie für eine der lohnendsten Aufgaben, jedenfalls für eine, von der man als Sänger und Darsteller nicht so schnell genug bekommt.

Bergs Werk verehrt der Bariton geradezu – es ist kein Zufall, dass sich bereits auf der ersten Arien-CD, die er veröffentlicht hat, Passagen aus dem „Wozzeck“ finden. Das mag manchen Interessenten verwundern, der das Programm dieser Kompilation studiert: Wer Mozarts Don-Giovanni-Ständchen, das Lied des Harlekin aus Strauss' „Ariadne auf Naxos“ oder den Walzer des Pierrot aus Korngolds „Toter Stadt“ singt, räsonniert zwischendrin in aller Regel nicht unbedingt über die „armen Leut'“.

„Die Geschichte sucht ihresgleichen“

Doch Matthias Goerne meint dazu überzeugt: „Warum hätte man den ,Wozzeck‘ aus dieser CD ausklammern sollen, eine der besten Opern, die wir haben? Nur weil der Komponist hier den Sprung in die sogenannte Atonalität gewagt hat?“

Wie stark dieses Werk wirkt, wie konsequent Berg die Linie der Spätromantik ins 20.Jahrhundert hinein quasi „verlängert“ hat, erweist sich bei jeder guten Aufführung. „Ich werde jedenfalls nicht müde davon“, sagt Matthias Goerne: „Es ist immer wieder spannend – auch weil Georg Büchners Stück ja auf einer Geschichte basiert, die ihresgleichen sucht.“

Außerdem darf „Wozzeck“ durchaus als Gipfel des musikdramatischen Realismus gelten, greift ins volle Menschenleben, kennt neben der tragischen Handlung auch „Sarkasmus, ja sogar Witz“, sagt Goerne. „Das ist kaum besser zu machen – und gegenüber dem Theaterstück hat die Oper ja noch den Vorteil, dass die Musik Ordnung hineinbringt.“ Büchners tatsächlich völlig ungeordnet überlieferter Szenenfolge unterlegt Alban Berg ein architektonisch streng durchkalkuliertes Gerüst; und lässt sich von diesem nicht bremsen in der emotionellen, immer wie spontan aufwallenden Theatralik.

Matthias Goerne hat den „Wozzeck“ mit dem Staatsopern-Ensemble jüngst anlässlich des umjubelten Gastspiels in der New Yorker Carnegie Hall gesungen. Das hatte unmittelbare Folgen: „Ich bin ein paar Tage später für Thomas Hampson in der Metropolitan Opera eingesprungen.“ In derselben Rolle und nur mit einer kurzen Einweisungsprobe anlässlich der von James Levine minuziös einstudierten Wiederaufnahme. Das klappte so reibungslos, dass die Rezensenten anderntags nachfragten, warum man Oper eigentlich immer so lang probieren müsse, wenn ein so kompliziertes Stück über Nacht so perfekt funktionieren könne...

Derlei Zynismen sind freilich nicht am Platz. Matthias Goerne hat eine Erklärung für das Gelingen seines Husarenritts: „Das hat natürlich mit der Qualität dieses Stücks zu tun. Bergs Klarheit der musikalischen Geste, die Komprimiertheit, die in dieser Partitur herrscht, wer das einmal begriffen hat, wer's ein paarmal gemacht hat, der findet sich auch in der kompliziertesten Inszenierung sofort zurecht.“ Denn die eigentliche Regie führt bei „Wozzeck“ ja doch prinzipiell nur einer: Alban Berg.

Bevor Matthias Goerne nun nach Wien kam, musste er noch einen kleinen Umweg machen: Der Flug ging von New York nicht direkt nach Europa, sondern zunächst nach Johannesburg. „Langstreckenflüge mag ich eigentlich“, sagt er, „da weiß ich: Jetzt gibt es zehn Stunden lang keine Alternative, irgendwie in Aktionismus zu verfallen.“ Das hat etwas mit Entspannung zu tun. Außerdem lässt sich konzentriert einiges erledigen, was sonst gern liegen bleibt.

Der südafrikanische Zwischenstopp hatte seinen Grund. Der Bariton besuchte den Künstler William Kentridge, mit dem er anlässlich der Wiener Festwochen im Juni in der Halle E des Museumsquartiers ein ungewöhnliches Schubert-Spektakel realisieren wird. Kentridge hat zu den 24 Liedern der „Winterreise“ 24 seiner speziellen Animationsfilme gestaltet, die die Themen des Zyklus auf neue Art widerspiegeln werden.

Eine Winterreise in die Abstraktion

„Ich will in einem solchen Fall jetzt nicht einen Wanderer durch die Eiswüste ziehen sehen“, sagt der Sänger, „das hatten wir ja schon. Faszinierend kann es aber sein, wenn sich das in eine vollkommen abstrakte Welt verliert, wenn man merkt, hier entsteht ein Kunstwerk, das zwar inspiriert ist durch die ,Winterreise‘, wie wir sie alle kennen, das aber nicht zwangsläufig auf der Geschichte basiert, die Franz Schubert und Wilhelm Müller erzählen. Da entsteht etwas Neues, etwas, was auf mich eine kolossale ästhetische Wirkung ausübt.“

Solche Experimente, da beugt der Sänger – nach zahllosen klassischen Erfahrungen mit Schuberts Werk in den internationalen Konzertsälen – gleich Missdeutungen vor, machten „natürlich nicht die ,Winterreise‘ besser. Es ist etwas anderes, eine völlig neue Erfahrung“, die man nach der Wiener Premiere (9., 12. und 14. Juni) auch in Aix-en-Provence, in New York machen wird – und an vielen anderen Orten. Die Veranstalter reißen sich nämlich um das Projekt des Kyoto-Preisträgers Kentridge, der damit, so Goerne, „ein unglaublich starkes Statement abgibt, das auch mit seiner Heimat, Südafrika, zu tun hat“.

Die Geschichte der „Winterreise“ stellt ja Urfragen, mit denen sich die Menschheit allenthalben beschäftigt: „Was bedeuten Isolation, Ungerechtigkeit, selbst die Ungerechtigkeit des Schicksals?“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.03.2014)

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