Elisabeth Sobotka: Aufregung muss sein

Elisabeth Sobotka „Liebe, Tod, Wahn – Oper hat viel mit unserem Leben zu tun.“
Elisabeth Sobotka „Liebe, Tod, Wahn – Oper hat viel mit unserem Leben zu tun.“(c) Christine Ebenthal
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Elisabeth Sobotka, Grazer Opernintendantin, die ab 2015 die Bregenzer Festspiele leiten wird, spricht über die Magie der Oper.

Die Bregenzer Festspiele werden heuer zum letzten Mal vom Briten David Pountney verantwortet. 2015 übernimmt Elisabeth Sobotka das Festival. Die 1965 in Wien geborene Musikwissenschaftlerin war im Betriebsbüro der Salzburger Festspiele und der Jeunesse tätig. Der niederländische Musikmanager Louwrens Langevoort holte sie an die Oper Leipzig, wo sie bei Intendant Udo Zimmermann arbeitete. Ioan Holender engagierte Sobotka 1994 für die Wiener Staatsoper, wo sie acht Jahre Chefdisponentin war. 2002 holten David Barenboim und Peter Mussbach die energische Dame als Direktorin an die Berliner Staatsoper Unter den Linden. 2009 wurde sie als Opernchefin nach Graz berufen. „Was ist Regietheater?“, fragt Sobotka im Interview. Sie plädiert für „starke, moderne Konzepte“, erzählt von glücklichen und weniger glücklichen Situationen, von ihrem Mann, dem Dirigenten Michael Boder, mit dem sie eine Fernbeziehung führt, und von ihrem Sohn Felix, der sich auf den Umzug nach Bregenz und aufs Skifahren freut. Freizeit hat Sobotka wenig: „Mein Leben hat viel mit der Oper zu tun“, sagt sie.

Operndirektorinnen sind rar. Sie waren gleich an mehreren Opernhäusern in führenden Positionen tätig: Chefdisponentin an der Wiener Staatsoper, Direktorin der Berliner Staatsoper Unter den Linden. Nun leiten sie seit 2009 das Grazer Opernhaus bis 2015, und übernehmen dann die Bregenzer Festspiele. Wie haben Sie diese Karriere geschafft?
Ich habe unglaubliche Glückssituationen erlebt, die ich dann auch ergriffen habe. Ich bin ganz früh Betriebsdirektorin in Leipzig geworden. Da war ich 27 Jahre (1992) alt. Mein Vorgänger, Louwrens Langevoort, der jetzt die Philharmonie in Köln leitet, hat mich nach Leipzig geholt. Das war 1992 knapp nach der Wende, es war eine wilde Zeit. Als Langevoort wegging, dachte ich, gut, das ist jetzt zu Ende. Aber der damalige Leipziger Intendant Udo Zimmermann sagte zu mir: Sie können das auch. Dadurch bin ich gleich sehr hoch eingestiegen. Und dann habe ich das Angebot vom früheren Staatsoperndirektor Ioan Holender bekommen, Chefdisponentin zu werden. Nach einem kurzen Gespräch sagte er: Die ist belastbar.

Holender galt als cholerischer und schwieriger Chef.
Er war zu allen harsch, zu den Berühmtheiten wie zu den Mitarbeitern. Nachdem ich den Job an der Staatsoper hatte, erlebte ich sehr schwierige Zeiten. Ich war sehr unerfahren. Ich weiß noch, ich dachte, wenn ich das überlebe, schaffe ich fast alles. Ich glaube, durch meine Leidenschaft und meine Begeisterung habe ich viele Hürden gar nicht wahrgenommen.

Würden Sie sich zutrauen, die Staatsoper zu übernehmen?
Ob das einer Frau in Wien überhaupt gelingen kann? Wenn ich jetzt Nein sage, klingt’s kokett. Ich hätte Sorge, dass ich den Betrieb zu gut kenne und nicht unbefangen herangehen könnte. Ich weiß, wie schwierig es ist, dass am Abend dann wirklich fünf oder zehn Sänger auf der Bühne stehen, an die man glaubt und die an das glauben, was sie machen. Die Staatsoper ist das Komplizierteste, was ich erlebt habe. Diese vielen Produktionen, die im Repertoire bestehen müssen. Da ist ein Festival das Gegenkonzept.

Bei den Bregenzer Festspielen, die Sie 2015 übernehmen, steht von Ihrem Programm schon einiges fest: Puccinis „Turandot“ auf der Seebühne in der Regie von Marco Arturo Marelli, „Hoffmanns Erzählungen“ von Offenbach, inszeniert von Stefan Herheim im Festspielhaus. Was können Sie noch verkünden?
Ja, das ist immer die schwierige Frage, verkündet man oder wartet man, bis es durchsickert? 2017 machen wir „Carmen“ auf der Seebühne. Wir wollen Uraufführungen zeigen. Ich will eine Eigenproduktion für junge Sänger machen, eine Art Opernstudio. Und ich möchte performative Kunstformen einladen, Komponisten für ein „Opern-Atelier“ mit Künstlern aus anderen Kunstbereichen zusammenbringen, um neue Ideen für das Musiktheater zu entwickeln.

Moderne Operninszenierungen ernten noch immer oft Verrisse und Unmutsäußerungen vom Publikum, Stichwort Regietheater. Was versprechen Sie sich von modernem Musiktheater?
Was ist Regietheater? Ein weites Feld. Ich würde lieber Konzepttheater sagen. Ein starkes, modernes Konzept finde ich gut, das regt eben manchmal auf, Aufregung muss sein im Theater, sonst braucht man es nicht machen. Ein Opernabend hat viele Facetten: Er kann unterhalten, Gefühle wecken und eben aufregen. Alle diese Möglichkeiten sind legitim. Es soll ein Peter Stein inszenieren – aber ebenso ein Peter Konwitschny. Jeder wird andere Leute erreichen, andere Dinge auslösen. Das Geheimnis von Theater und Oper ist, dass es uns zum Denken bringen.

Haben Sie als Chefin auch negative Erfahrungen mit männlichen Mitarbeitern gemacht? Kommunizieren Männer anders als Frauen?
Einmal ist ein Mitarbeiter, der den Notausgang benutzt hat, obwohl das verboten ist, zum Betriebsrat gegangen und hat gesagt, er lässt sich nicht von einer zehn Jahre jüngeren Frau anschnauzen. Prinzipiell hat sich der Führungsstil in der heutigen Zeit ja sehr stark verändert, alles ist kooperativer geworden, die Hierarchien sind flacher. Das hat auch mit dem Internet zu tun, Informationen sind schneller überall. Im Management hat sich herumgesprochen: Gemeinsam sind wir stärker. Das Befinden der Mitarbeiter ist wichtiger geworden, zufriedene Mitarbeiter sind bessere Mitarbeiter. Die Menschen sind nicht mehr so hierarchiegläubig. Unsere Generation ist noch einen autoritären, hierarchischen Führungsstil gewohnt, weil es in unserer Jugend fast nur Männer in Führungspositionen gab. Aber es gibt auch autoritäre Frauen.

Was macht die Magie der Oper aus? Ist sie eher Religionsersatz als das Theater?
Die Oper ist ein Ereignis, das alle Sinne anspricht. Nicht nur das Theater, auch die Oper hat eine Art religiösen Aspekt. Nicht umsonst sagt man: der hehre Raum der Bühne. Dort findet ein Spektakel statt, das viel mit unseren Emotionen zu tun hat, mit unserer Situation im Leben. Die Oper hat durch die Musik die größere Verführungskraft als das Theater, wenn man dafür anfällig ist, reißt einen das richtig hinein.

Wirklich? Die meisten Leute erleben die Leidenschaften, die in der Oper verhandelt werden, entweder gar nicht oder kurz.
Das ist nicht wahr. Jeder verliebt sich, jeder stirbt.
Aber nur wenige werden wahnsinnig.
Borderline-Syndrom ist eine ganz moderne Krankheit.

Glauben Sie, dass Oper dagegen hilft?
Nein, aber ich glaube an die Erziehungskraft von Theater. Natürlich funktioniert das nicht so, ich gehe in ein Stück, und schon bin ich ein besserer Mensch. Aber die Kunst kann uns weiterbringen – und die Oper hat mit dem Leben zu tun, davon bin ich überzeugt. Sie verhandelt große künstlerische und ganz normale menschliche Probleme.

Was war Ihre erste Oper? „Die Zauberflöte“?
Meine erste Oper, an die ich mich wirklich gut erinnere, war Wagners „Götterdämmerung“. Da war ich neun Jahre alt. Es war ein großes Erlebnis, als Siegfried tot auf der Bühne lag und ich glaubte, dass er tot sei, obwohl ich gesehen habe, dass er atmet. Da wusste ich, Theater kann ganz echt sein, obwohl man weiß, es ist nicht echt.

Wollten Sie generell eher der Held oder die Prinzessin sein?
Schon eher der Held, der Recke, der Leute rettet. Am liebsten mochte ich immer die Tenöre! Placido Domingo hat in einer „Tosca“-Aufführung 1980 in der Staatsoper zweimal hintereinander „Und es blitzten die Sterne“ gesungen. Der Jubel war enorm. Damals war ich in der Oberstufe des Gymnasiums. Da hat es Klick gemacht in meinem Kopf und in meinem Herzen – und die Opernbegeisterung war da.

Trotzdem haben Sie keinen Tenor geheiratet, sondern einen Dirigenten, oder? Wie vereinbaren Sie Beruf und Privatleben? Nehmen Sie Ihr Kind immer mit, wenn Sie umziehen?
Ja, mein Sohn Felix ist jetzt neun Jahre alt, er findet die Wechsel spannend und freut sich schon sehr aufs Skifahren in Vorarlberg. Ich übrigens auch. Meine Mutter kümmert sich um alles und ermöglicht uns unsere Arbeit. Ich bin nicht verheiratet. Michael Boder und ich leben in einer Partnerschaft. Ich denke immer, ich bin mit meiner Mutter verheiratet und habe einen Geliebten.

Vielleicht nicht das Schlechteste.
Michael Boder war Musikdirektor in Barcelona, jetzt hat er diese Position in Kopenhagen. Wir versuchen uns so oft zu sehen wie möglich, aber letztlich ist es eine Fernbeziehung. Felix und ich fahren öfter gemeinsam zu seinen Premieren.

Haben Sie jemals an der Richtigkeit Ihres Weges gezweifelt?
Nein, und das ist ein unglaubliches Geschenk.

Es gibt nie miese Tage?
Es gibt Situationen, in denen man sich denkt, warum habe ich diesen Beruf gewählt, wenn es Streit mit Sängern oder Regisseuren gibt. Die Oper hat diese großen Kollektive Orchester und Chor, diese Gruppen, die man koordinieren und zusammenbringen muss. Das ist nicht immer einfach. Dann hetzt man grantig zum Vorsingen und plötzlich kommt da so ein Geschöpf auf die Bühne und man kriegt Gänsehaut und weiß, das ist die Mimi oder die Manon. Dann denkt man: Ja, genau darum mache ich das.

„Der Dirigent ist fürchterlich, so viel Talent, das hab auch ich. Was reden Sie da, der ist wunderbar! Aber nicht so gut wie er einmal war.“ So sang einst der begnadete Satiriker und tolle Musiker Georg Kreisler. Lieben Sie auch diese mitunter recht heftigen und kontroversiellen Pausengespräche?
Wenn zu viele Kollegen beisammen sind, muss man echt aufpassen. Es ist doch sehr vieles Geschmacksache. Ob einem ein Schauspieler oder Sänger gefällt, hat auch mit der persönlichen Disposition zu tun.

In Peter Henischs Roman „Großes Finale für Novak“ erlebt ein Mann die Verzauberung durch die Oper, der er lange ferngestanden ist und deren Musik er viele Jahre seines Lebens als ähnlich schrill empfunden hat wie die Stimme seiner Frau.
Ich glaube, mein Bruder findet Oper noch immer schrill. Das Hochdramatische gefällt nicht jedem. Aber ein Mozart ist nicht pathetisch. Es kommt auch auf die Situation an: Wenn man beim Mittagessen sitzt und Verdi im Radio läuft, das passt dann gar nicht zusammen. Ich selbst tue mir darum auch schwer mit Oper im Fernsehen. Weil es ist letztlich doch ein Medium in ein anderes übersetzt ist. Live ist es immer anders, speziell in Opernhäusern. Da kommt alles zusammen, auch die Atmosphäre des Hauses spielt eine große Rolle.

Was machen Sie in Ihrer Freizeit? Haben Sie Freizeit? Hoffen Sie, wenn Sie in Bregenz leben, mehr Zeit zu haben als in Graz?
Ich habe wenig Freizeit. Ein Tag ohne Termine, an dem ich lesen, spazieren gehen, einfach abhängen kann, das ist schon schön. Ich hoffe, dass sich das in Bregenz jetzt öfter mal ergeben wird. Mein Leben hatte und hat sehr viel mit Oper zu tun, ich reise, schaue mir Aufführungen an, auch Kino, weil Regisseure sich oft auf Filme beziehen, da fehlt mir relativ viel.

Schauen Sie mit Ihrem Sohn Fantasy-Filme an?
Einen einzigen haben wir uns angeschaut, da war er noch kleiner, da haben wir uns beide so gefürchtet vor den Himmelsuntieren in 3-D, dass wir das nicht mehr wiederholt haben.

Glauben Sie insgesamt, dass es leichter sein wird, ein Festival zu leiten, als ein Opernhaus zu führen?
Das weiß ich nicht, aber das will ich ausprobieren.

Tipp

Bregenzer Festspiele 23. Juli bis 25. August. „Zauberflöte, „Geschichten aus dem Wiener Wald“ (UA). Grazer Oper: Donizettis „La Favorite“ ab 26. 4.

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