Dirigentin im Gespräch: "Wir müssen die Kultur verteidigen"

Simone Young
Simone YoungAPA/EPA/MAJA HILIJ
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Simone Young leitet am Ostersonntag den „Frühling in Wien“. Der „Presse“ erzählte sie einen Dirigentenwitz – und erklärte, warum man gegen die Einsparungsbestrebungen im Kulturbereich kämpfen muss.

Die Presse: Man sagt, Sie könnten gut Witze erzählen?

Simone Young: Kennen Sie den? Ein Flugzeugabsturz. Vier Dirigenten sitzen in der kleinen Maschine. Wer überlebt? Die Musik!

Mit dieser Haltung wird man Dirigentin?

Musikerwitze muss man schon aushalten... Mir wurde früh klar, dass ich Dirigentin werden möchte. Es war in meiner Geburtsstadt Sydney, ich war 23. Ich wollte eine Opernaufführung von Anfang bis Ende durchgestalten, samt der Basisarbeit mit den Sängern; ich wollte die Verantwortung für das Ganze.

Das Metier haben Sie von der Pike auf gelernt. Sie waren Korrepetitorin. Wie groß ist heute Ihre Lust, Klavier zu spielen?

Ich spiele ganz gut, aber ich bin doch Dirigentin, nicht Pianistin. Vielleicht stehe ich als Pianistin oft zu heftig auf dem Pedal. Vor lauter Begeisterung! Ich will so Klavier spielen, wie ein Orchester klingt. Kennen Sie das wunderbare Zitat von Oscar Wilde? „I don't play accurately – anyone can play accurately – but I play with wonderful expression.“ So ähnlich spiele ich vielleicht Klavier...

Wer hat Sie auf dem Weg vom Kompositionsstudium hin zur praktischen Orchesterarbeit geprägt?

Ich hatte das Glück, Olivier Messiaen in Paris Anfang 1987 erleben zu dürfen. Mit einem australischen Stipendium in der Tasche besuchte ich damals alle Proben des Ensemble intercontemporain und des Orchestre de Paris. Messiaen war anwesend, während Pierre Boulez seine Werke erarbeitete. Zu hören, wie er mit den Musikern über seine Klangfarben sprach, war ein Erlebnis.

Wurde Ihnen die Liebe zur Musik an die Wiege gesungen?

Das Einzige, was ich in die Wiege gelegt bekam, war mein absolutes Gehör! Geboren wurde ich in eine amusikalische Familie. Mein Vater war Lehrer, dann Anwalt. Meine Mutter arbeitete als Schneiderin. Wir hatten nicht viel Geld. Als junges Mädchen musste ich Zeitungen austragen, bis ich genug erspart hatte für eine Gitarre. Angeblich habe ich schon mit dreieinhalb Kindergartenlieder am Klavier meiner Oma nachgeklimpert.

War Ihnen Musik als Kind wichtig?

Ich war vielseitig interessiert. Literatur und Sprachen haben mich damals vielleicht am meisten fasziniert. Mit 15 erhielt ich dann ein Hochschulstipendium für Komposition.

Hatte die junge Kompositionsstudentin Zeit für abendliche Opernbesuche?

Und ob! Die Oper Sydney erlebte Mitte der 1980er-Jahre eine geniale Zeit, damals ist noch Joan Sutherland aufgetreten. Ich konnte italienisches Repertoire kennenlernen, aber auch die Opern von Janáček in exemplarischen Wiedergaben unter Charles Mackerras.

Das Dirigieren haben Sie nie studiert?

Als Autodidaktin. Man lernt durch Beobachtung und Praxis, also live von einem Orchester. In Australien habe ich Fechtstunden genommen: Auch so kann man über das Atmen und den Auftakt durchaus lernen.

Sie dirigierten an der Staatsoper, als die Wiener Philharmoniker noch keine weiblichen Orchestermitglieder hatten. Erinnern Sie sich an Ihr Wien-Debüt?

Es war Puccinis „Boheme“ im November 1993. Die Medien haben groß hervorgehoben, ich sei die erste Frau, die an der Wiener Staatsoper dirigiert. Mir war das völlig egal.

Sie scheiden vom Hamburger Opernhaus mit einem originellen Wunschkonzert: Das Publikum darf das Programm auswählen. Wie sehen Sie die Problematik einer dirigierenden Intendantin?

Ich habe mich zweimal entschieden, ein Haus zu leiten: 2001 bis 2003 die Australian Opera in Sydney und Melbourne, danach die Oper in Hamburg. In Australien gibt es kein europäisches Grundverständnis im Kulturbereich. Finanzielle Kürzungen waren derart, dass Pflege des Genres nicht möglich war. Dann kam 2005 der Ruf nach Hamburg. Das Haus brauchte eine Neustrukturierung. Ich habe keinen anderen Weg gesehen, als alle Ämter in einer, meiner Hand zu vereinigen.

Ein ewiger Konfliktpunkt ist für jeden Intendanten das liebe Geld.

Wie überall gab und gibt es auch in Hamburg nie genug Geld. Wir waren auf Sponsoren angewiesen. Doch zum Glück muss man im deutschsprachigen Raum bis jetzt noch nicht erklären, warum man so und so viele Streicher oder Choristen braucht, um eine Oper von Wagner aufzuführen. Ein Großteil der Intendantenarbeit ist heute Öffentlichkeitsarbeit. Wir müssen die Kultur verteidigen, klarmachen, welcher Verlust es wäre, wenn wir sie eines Tages nicht mehr finanzierten. Es würde sehr rasch kälter rundum, ein Teil der Menschlichkeit ginge verloren. Es wäre ein fataler Fehler, den Einsparungsbestrebungen peu à peu nachzugeben. Der europäische Reichtum an kultureller Tradition ist etwas Einmaliges, absolut Schützenswertes. Das muss entsprechend dotiert sein: Dafür muss man mit aller Kraft kämpfen.

Was raten Sie jungen Dirigenten und Dirigentinnen?

Diesen Beruf nur zu ergreifen, wenn man wirklich für die Sache brennt. Dirigieren ist weit mehr als die Arme in die Luft zu schleudern. Es ist eine Mischung aus Willenskraft, die man übertragen muss, und einer Art von Besessenheit, genau zu wissen, wie Musik klingen soll. Nach außen hin scheint die Person am Dirigentenpult die entscheidende Machtposition in diesem Betrieb zu haben. Macht ist aber nicht der Punkt, ich hasse dieses Wort im Zusammenhang mit dem Dirigentenberuf. Es geht eher um Durchsetzungs- und Umsetzungsvermögen. Und noch etwas rate ich den Jungen: sich ein dickes Fell wachsen zu lassen. Man muss seine eigenen Emotionen immer abschirmen.

Was war Ihr bisher berührendstes Erlebnis als Dirigentin?

Ein Konzert in Kroatien. Meine Mutter ist dort geboren. Sie wanderte mit fünf Jahren mit ihren Eltern nach Australien aus. Als ich in einer Kirche in Dubrovnik die Zagreber Philharmoniker dirigierte, saßen meine betagten Eltern in der ersten Reihe. Ich sah, dass meine Mutter, die dieses Land vor über 70 Jahren verlassen hatte, weinte! Ich dachte: Hier sind meine Wurzeln. Meine Großmutter war noch Analphabetin, und ich, ihre Enkelin, kehre als Dirigentin hierher zurück. Plötzlich wusste ich: Dafür sind meine Vorfahren ausgewandert – väterlicherseits aus Irland, mütterlicherseits aus Kroatien.

ZUR PERSON

Simone Young, geboren 1961 in Sydney, hat väterlicherseits irische und mütterlicherseits kroatische Wurzeln. Sie hat viele große Orchester dirigiert, von den Wiener Philharmonikern über die Staatskapelle Dresden bis zu New York Philharmonic. Von 2001 bis 2003 leitete sie die Opera Australia in Sydney und Melbourne. Seit 2005 ist sie Intendantin der Hamburgischen Staatsoper.

Am Sonntag (19.30 Uhr) dirigiert sie die Wiener Symphoniker bei „Frühling in Wien“ im Musikverein. Es singt Tenor Johan Botha, u.a. das Preislied des Stolzing aus den „Meistersingern“ und Franz Lehárs „Freunde, das Leben ist lebenswert“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.04.2014)

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