Mariss Jansons und Anton Bruckner: Geschichtenerzähler

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Der Maestro beeindruckte nochmals mit dem Concertgebouw-Orchester.

Der Anfang von Bruckners Vierter mit dem berühmten Hornruf über kaum hörbarem Streichertremolo: Stellt die Musik da elementare musikalische Verhältnisse neutral und unverrückbar vor? Die wiederholte reine Quint, einmal chromatisch ausgeweitet – ist es objektives Material, aus dem der Komponist enorme symphonische Entwicklungen ableitet? Nein, sagten im Musikverein Mariss Jansons und das in abschattiertem Klangglanz leuchtende Concertgebouworkest Amsterdam.

Von Beginn an interpretierten sie jede hervortretende Linie, jede harmonische Wendung als Teil einer großen dramatischen Erzählung: Statt dass wir also an der mystischen Entstehung oder auch Konstruktion der Musik teilhaben würden, wie es viele packende Aufführungen mit Wiener Instrumentarium in der Vergangenheit nahegelegt haben, hören wir sofort, wie lebendig klingende Charaktere aufeinander reagieren.

Im Stirnsatz untermauerten diese Empfindung das sanfte Vibrato des Hornsolos ebenso wie das flexible, an Tuttistellen stets leicht angezogene Tempo, die mit klagender Emphase aufgeladenen Holzbläsersoli am Ende der Exposition oder der wachsweich vorgetragene Blechbläserchoral in der Durchführung: Das Romantische des Werks, so schien Jansons zeigen zu wollen, liegt im emotionalen Unterfutter – in der Trauermarschatmosphäre des Andante ebenso wie im gar nicht auf vordergründig überrumpelndes Schmettern angelegten Jagdscherzo oder im zyklopischen Finale, das die Schauerromantik der Wolfsschluchtszene aus Webers „Freischütz“ überhöht. Das alles ergab eine Art bewusster Säkularisierung der Musik Bruckners, der ohnehin nie behauptet hat, seine Symphonien wären mit sakralen Obertönen angereichert.

Wenige Tage zuvor hatte der herzkranke Jansons erklärt, seinen Vertrag als Concertgebouw-Chefdirigent mit nächster Saison auslaufen zu lassen; beim Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks verlängerte er vor Kurzem bis 2018. Abschiedsstimmung war diesmal jedenfalls (noch) nicht zu spüren, nur große Dankbarkeit der Amsterdamer Meistermusiker wie des Publikums. In diese wurde auch Frank-Peter Zimmermann einbezogen, der eingangs mit klarem, rundem Ton eine intelligent und sauber modellierte, aber doch etwas zu distanzierte Lesart von Mozarts G-Dur-Violinkonzert angeführt hatte: das Kokettieren mit Gassenhauern oder der gleichsam grußlose Schluss – musikalische Pointen, die vor lauter Noblesse unausgekostet blieben. (wawe)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.04.2014)

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