Akademietheater: Parzival schlägt sich durch ein irres Endspiel

PARZIVAL IM AKADEMIETHEATER
PARZIVAL IM AKADEMIETHEATER(c) APA/REINHARD WERNER/BURGTHEATER (REINHARD WERNER/BURGTHEATER)
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David Bösch inszeniert Tankred Dorsts poetischen Text unbekümmert. Er scheint in plakative Bilder verliebt zu sein. Lucas Gregorowicz gibt einen pubertierenden Helden, seine Mitspieler setzen auf Ironie und auch Pathos.

Die Erde, auf der Tankred Dorsts dummdreister Parzival in der Inszenierung von David Bösch wandelt, ist nicht wüst und leer, sondern mit Müll bedeckt. Patrick Bannwart, der auch Kostüme und Videos für die Aufführung im Wiener Akademietheater schuf, zeigt vor der Feuermauer hoch oben leere Rüstungen. Eine mit Abfall drapierte schiefe Ebene führt an die Rampe, vorn liegen Matratzen und Kartons herum. Fahl ist es hier. Das soll der Wald sein, in dem Parzival (Lucas Gregorowicz) aufwächst? Behütet von der Welt durch die leidgeprüfte Mutter Herzeloide (Regina Fritsch)? Diese Obdachlose kann nicht verhindern, dass der zur Gewalt neigende Bub sich in die Welt aufmacht, nachdem er Ritter gesehen hat, die er für Engel hält.

Erst aber gibt es ein schickes Weltende als Vorspiel. Der Teufel (Dietmar König) springt aus einer Klappe und erzählt von einem Planeten, auf dem Leben mit einer niederen Stufe von Intelligenz gedieh. Beim Szenenwechsel sieht man die blau leuchtende Erde am Firmament, der Müll darum herum strahlt nun hell wie die Sterne. Dann aber spricht Satan genießerisch vom Untergang – und schwupp, brennt die Erde.

Zeitloser Text in modischer Show

Simple Effekte und ein paar Videos mit wackeligen Zeichentrickfilmen garnieren diese Inszenierung, die am Sonntag Premiere hatte. Sie signalisieren: Mach dir keinen Kopf, lieber Zuschauer, das Ding, das wir dir hier zeigen, ist so gebaut, dass es jeder Tor versteht, jeder halbwüchsige Besucher einer Spielhalle. Ja, die Welt ist schlecht, aber haben wir die Schäbigkeit nicht anheimelnd harmlos für dich aufbereitet? Und es dauert ja nicht lang. In eineinhalb Stunden ist der Spuk mit den Ritter-Deppen, die auf der Suche nach dem Heiligen Gral mit dem erlösenden Blut Christi sind, vorbei. Das Augenzwinkern bereitet Probleme. Der poetische, zeitlose Text Dorsts hat die 27 Jahre, seit Robert Wilson ihn am Thalia-Theater in Hamburg uraufführte, gut überstanden. Hier aber ist er nur in den besten Momenten im Einklang mit der kühlen, modischen Interpretation von Bösch. Fünf Darsteller spielen bei ihm ein Dutzend Rollen – plus Bernhard Moshammer, der die zu den Bildern passende Musik schuf und dem Zauberer Merlin seine Stimme gibt. Die Regie ähnelt den Bemühungen Parzivals in seiner Frühphase. Sie nimmt alles sehr leicht und verdrängt das Komplexe, als ob es ein Kinderspiel sei.

Wie aber schlägt sich das Ensemble bei diesem alten Stoff, der hier eine apokalyptische Grundierung erhält? Regina Fritsch ist eine das Herz erwärmende Mutter des Helden, die an Kummer stirbt, als der Bub abhauen will. Sie gibt dieser Rolle ein wenig Pathos, viel an stimmiger Rauheit. Auch in den Rollen der Damen, um die der Ritter wirbt, findet sie danach die rechte Balance zwischen Verrücktheit und Berechnung. Als verlassene Bäuerin, die ihren Mann (einen Aussteiger) verflucht, die ihm Steine wie auch tote Kinder vor die Füße wirft, hat sie ebenfalls einen starken, kurzen Auftritt. Dem Realitätsverweigerer hat Oliver Stokowski Raffinesse verliehen: ein nackter Mann, der sein Haus aus Pappe auf dem Rücken mit sich herumträgt, vor Mitleid mit der Welt vergeht und doch auch ein Egoist zu sein scheint – das ist eine abenteuerliche Variante des Wahnsinns, besser noch als die des Parzival.

Daniel Jesch wiederum darf ausgiebig das Rittertum karikieren, als Sir Galahad mutiert er tatsächlich zu einem tänzelnden Clown. Meist aber reitet er stoisch mit imaginärem Pferd bergauf und bergab. Wenn er dann als blutender Trevrizent verzweifelt darum bittet, dass Parzival ihm Schmerzen zufügt, ist das wirklich bedrückend. Und König hat neben der Paraderolle des Teufels auch die des Sir Gawain. Beide spielt er mit Leichtigkeit und glänzender Ironie.

Ein aus der Rüstung geschälter Ritter

Aber der Held? Der rote Ritter, der den Gral findet und das erst gar nicht erkennt? Man sieht ihn zuerst in kurzen Hosen, sein Gewand ist schmutzig weiß. Roh tötet und zerlegt dieser Bub einen roten Vogel, er weiß offenbar gar nicht, was er dabei tut. Diese Demonstration nackter Gewalt zählt zu den besten Szenen. Dann schält Parzival Sir Ither aus dessen roter Rüstung. Das wirkt jenseits von Gut und Böse. Zuvor hat der junge Wilde den Ritter erledigt, indem er ihm einen Holzpfahl durchs Visier in die Augen stach. Den Mord sieht man übergroß als Zeichentrickfilm, rot färbt sich der Screen mit Blut, das an einem stilisierten Gesicht herabrinnt.

In dieser digitalen Traumwelt finden die meisten Abenteuer statt. Es regnet Fische, Vögel fliegen durch den Raum, Landschaften, Städte tauchen auf, um rasch sich wieder aufzulösen. Eine Entwicklung des Charakters ist in dieser Comic-Revue kaum zu erahnen. Nur manchmal leuchtet hell das Licht auf und blendet die Zuseher. Empfindet Parzival, dieser mörderische Bewohner einer durch und durch künstlichen Welt, der sich auf den Weg machte, um Gott zu suchen, am Ende Mitleid oder wenigstens Empathie? Eher scheint dieser Ego-Shooter darauf zu warten, dass ihm der unheimliche Merlin ein neues Zauberspiel auf den Computer lädt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.04.2014)

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