Pariser Oper: Dramatische Romanze aus Japan und ein Korb aus Russland

Salvatore Sciarrinos "Da gelo a gelo" mit dem Klangforum Wien in Paris und ein "Lohengrin" ohne den von Wien ermatteten Gergiev.

Gerade Paris besingt aktuell die Unmöglichkeit der Liebe. Dies zumindest in den von der Opéra National de Paris bespielten Häusern: bei der Pariser Erstaufführung von Salvatore Sciarrinos „Da gelo a gelo“ und einem hochkarätig besetzten „Lohengrin“.

Im alten prachtvollen Goldrund der Opéra Garnier zeigt man, seit es den großen modernen Opernbahnhof am Place de la Bastille gibt, die kleineren Opernformen, die barocken Werke, aber auch das Zeitgenössische. Jüngst also Sciarrinos knapp zweistündige, voriges Jahr uraufgeführte Oper „Da gelo a gelo“, die gemeinsam mit den Festspielen in Schwetzingen und dem Grand Théâtre de Genève in Auftrag gegeben und auch koproduziert worden ist.

Keine leichte Kost, die der Pariser Intendant Gerard Mortier servieren ließ. Sciarrino hat hier ein recht kopflastiges, formal streng, in der Textur zart gesponnenes, jedoch höchst faszinierendes Stück Musiktheater kreiert. Der italienische Komponist bearbeitete dafür das Tagebuch von Izumu Shikibu. Die japanische Dichterin hat es 1002 bis 1003n.Chr. verfasst. Sie beschreibt darin ihre Liebesbeziehung zum Prinzen Atsumichi. Dramatisches Finale: Die Liebe wird öffentlich, die Dichterin zieht in den Palast des Prinzen ein, der dadurch provozierte Skandal zwingt sie, die Beziehung zu beenden.

100 Szenen und 65 Gedichte, heißt es im Untertitel des Werks, für das Sciarrino den Text komprimiert und arrangiert hat und die Sänger abwechselnd in oft rasend schnellem artifiziellen Parlando kommunizieren lässt. Dieses Kommunikationssystem ist genau bis hin zur Beleuchtung ausgetüftelt. Es ist ein Wechselspiel, in dem die Dichterin und der Prinz in Briefen kommunizieren, die sie getrennt voneinander vorlesen, unterbrochen nur durch die wenigen Augenblicke, in denen sie vereint sind. Das Orchester unterlegt und begleitet dies mit in geheimnisvoll und bedrohlich dunkle Aura getauchten Schleiern, Schlieren und Akzenten.

Hart an der Grenze des Kitschs

US-Choreografin Trisha Brown hat das strenge Konzept in stilisierte tanztheatralische Bewegungen umgesetzt, ohne interpretierend einzugreifen. Das ist zunächst faszinierend, hat sich allerdings recht schnell ausgereizt. Zusätzlich ist die japanisch inspirierte Ausstattung hart an der Grenze des Kitschs angesiedelt. Glänzend hingegen sind die Gesangspartien besetzt: Besonders Anna Radziejewska als Dichterin und Otto Katzameier als Prinz erfüllen die schwierigen stimmlichen Aufgaben souverän.

Genauso überzeugend agiert das Klangforum Wien unter Tito Ceccherini, das scheinbar, mangels ähnlicher Aufgaben in Wien, ein Musiktheater-Exil in Paris gefunden hat – auch im nächsten Jahr wird es bei einer der Pariser Neuproduktionen spielen. Die Pariser Oper hat bei Georg Friedrich Haas eine Oper in Auftrag gegeben. „Melancholia“ heißt sie, nach einem Roman von Jon Fosse, und wird am 9.Juni 2008 im Palais Garnier uraufgeführt werden.

Das zweite Pariser Liebesscheitern fand wenige Tage später in der Bastille-Oper statt. Dort hat man Wagners „Lohengrin“ in einer – verglichen mit der aktuellen Wiener Produktion weit überlegenen – Inszenierung durch Robert Carsen von 1996 wiederaufgenommen.

Valerie Gergiev hat sie als Dirigent betreut – und hätte auch die Reprise zwei Tage nach seinem Wiener „Konzert für Europa“ leiten sollen. Doch Gerard Mortier musste verkünden, dass Gergievs Flugzeug Verspätung hätte und daher Michael Güttler zumindest den ersten Aufzug leiten werde.

Gergiev nicht in der Lage zu dirigieren

Der junge deutsche Dirigent, der auch für die letzte Reprise der „Lohengrin“-Serie angesetzt ist, sprang souverän ins kalte Wasser. Vor dem zweiten Aufzug wurde dann erklärt, Gergiev sei zwar inzwischen in Paris, allerdings nicht in der Lage zu dirigieren. Worauf Güttler unter großem Jubel auch für den Rest des Abends vor das tüchtig spielende Orchester trat und den Gergiev-Verlust schnell vergessen ließ.

Ein Abend, an dem die grandiose Waltraut Meier eine furiose Ortrud gestaltete, Ben Heppner, der im Juni auch in Wien als Lohengrin angesetzt ist, einen mitunter angestrengt klingenden, aber kraftvollen Titelhelden gab und Mireille Delunsch als lyrische Elsa berührte. Evgeny Nikitin war eine Luxusbesetzung von Heerrufer, während Jean-Philippe Lafont ein recht grober Telramund und Jan-Hendrik Rootering ein blasser König Heinrich war.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.05.2007)

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