Männer sind Schweine

Festwochen-Premiere: Bert Brechts "Baal" aus Paris im Museumsquartier, vehement, eloquent und sehenswert.

Der Dichter als Krimineller – da gibt es viele Beispiele von François Villon (1431–1463) bis Jean Genet (1910–1986). Beim Abenteurer Villon bediente sich Brecht für seinen „Baal“, den er 1918 während seines Militärdienstes verfasste. Von Rimbaud wiederum ließ sich die französische Truppe „Le d'ores et déjà“ (Schon jetzt) inspirieren, die bei den Festwochen im Museumsquartier gastiert.

„Baal“, das waren verschiedene Gottheiten in Syrien und der Levante, zuständig für Berg, Wetter, Fruchtbarkeit, daher die vielen Anspielungen auf den Regen, der bei Brecht vom Himmel wie aus den Lenden strömt. In Ägypten war Baal ein kriegerischer Gott. Sein Gebrüll erschütterte die Erde. Das hätten sie halt gern, die Herren Poeten (und nicht nur sie): stark an Manneskraft und mächtig. Brechts „Baal“ ist eine Männer-fantasie. Wer spottlustig aufgelegt ist, könnte als Illustration für diese den Song „Männer sind Schweine“ von der deutschen Pop-Gruppe „Die Ärzte“ hernehmen, in dem es u. a. heißt: „Sie wollen alles begatten, was nicht bei drei auf den Bäumen ist.“ „Baal“ ist, wie Brecht gern gewesen wäre. Er trieb es ein bisschen weniger schlimm. Das Werk ist aber auch ein köstliches Stück Gesellschaftskritik über den Umgang mit Dichtern u.a. Außenseitern. Und weil das Abweichen vom Mainstream in der globalisierten Welt immer riskanter wird, hat „Baal“ den Franzosen wohl besonders gefallen.

Fleischig statt orthodox-brechtisch

Im deutschsprachigen Theater wirkt das Drama ungeachtet des pointierten Textes (expressionistisch bis neusachlich) oft staubtrocken (wie z.B. im Akademietheater, obwohl dort der grandiose Thomas Thieme den Baal spielte). Der französische Regisseur Sylvain Creuzevault packt den „Baal“ gallisch an und ein und hat einen grandiosen Hauptdarsteller: Damien Mongins Baal ist mager, rotzig und skrupellos, ein gewaltiger Dichter und ein abgründiger Mensch.

Wenn er auftritt, wählt er die Christus-Maske (mit roten Bommeln als Wundmalen an Füßen, Händen). Meistens aber hurt er herum, weswegen es viel nackten Busen bei dieser Aufführung zu sehen gibt. Seine weiblichen Opfer, „Baal“ ist auch eine Mädchenfantasie, sind köstlich getroffen, teils sittsam, teils geil; speziell Amandine Pudio als Sophie oder Raphaèle Bouchard, die einen berührenden Song über eine junge Frau singt. Diese will zu Jesus nach Jerusalem reisen. Sie wird von der Schiffsmannschaft vergewaltigt und springt ins Meer. Doch weder Himmel noch Hölle nehmen sie auf, weil sie für den Himmel zu schlecht und für die Hölle zu fromm war. Wunderbar sind auch Baals Mutter (Michèle Goddet, erinnert an Gynts Aase) und Freund Eckart (der Getreue, Babacar M'Fall), sinnigerweise ein Schwarzer (gutartiger als der Weiße).

Die Aufführung hat Tempo und Temperament, obwohl sie mit über drei Stunden episch ist. Das MQ war wieder nicht voll, leerte sich zum Teil in der Pause, einige fanden die Produktion langweilig. Tatsächlich hält sie nicht durchwegs die Spannung.

Frankreichs Nationaltheater haben ein Drittel ihrer Besucher verloren, ein Menetekel auch für die deutschsprachigen. Wenn man diesen „Baal“ sieht, hofft man, dass der „Rest“, der nach der Krise von den Theaterbesuchern Europas übrig bleiben wird, reicht, um junge Künstler wie diese zu „füttern“, die unverkrampft, aber hoch engagiert blühendes Theaterleben verströmen.

INFORMATION: Brechts Baal

Eines der ersten Stücke Bert Brechts. Gespielt wird die radikalisierte Fassung von 1919in französischer Sprache mit Übertiteln und Simultanübersetzung.Die Truppe setzt stark auf Improvisation und Musik.

Vorstellungen im Museumsquartier Halle G bis 1.Juni, 20h, ? 589-22-22.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.05.2007)

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