Zubin Mehta: „Die Zeit für Wagner ist noch nicht da“

(c) APA (Herbert Pfarrhofer)
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Interview. Dirigent Zubin Mehta über das Musizieren im Krieg und seine Suche nach arabischen Talenten.

Die Presse: Sie sind Chefdirigent des Israel Philharmonic (IPO) auf Lebenszeit. Wie fühlt man sich als Monarch? Und ist Ihre Frau schon eifersüchtig auf das Orchester?

Zubin Mehta: Monarch? (lacht) Ich sehe mich nicht als Monarchen, für mich ist das eine Ehre. Wenn das Orchester Änderungen will, kann man natürlich darüber reden.

Im Ernst: Sie sind gleich alt wie das Orchester und dirigieren es seit den 60er-Jahren. Was bedeutet Ihnen das IPO persönlich, und was ist das Spezifische an seinem Klang?

Mehta: Ich bin jetzt Chef seit 1969 und habe fast alle Musiker ausgewählt, das ist wirklich meine Familie geworden. Und ich bin dabei auch dem Land sehr nahe gekommen. Da es ein demokratisches Land ist, sage ich auch immer meine Meinung. Der Klang ist sehr zentraleuropäisch, und er ist geprägt von den Kammermusik-Ensembles innerhalb des Orchesters. Es ist wunderbar, dass ich diese vielen Kammermusiker unter mir spielen habe mit ihrer speziellen Art zuzuhören.

Sie haben 1981 versucht, mit dem IPO in Israel Wagner zu spielen, es endete mit einem Skandal. Würden Sie es wieder versuchen?

Mehta: Die Zeit dafür ist noch nicht da. Es leben noch immer Leute mit den tätowierten Ziffern aus den Lagern. Sie werden in Israel als Heilige betrachtet, und das muss man auch respektieren. Sehr viele von ihnen wollen keinen Wagner mehr hören, weil sie eben noch aus einer ganz anderen Zeit kommen.

Ihr Freund Daniel Barenboim argumentiert, Wagner sei von den Nazis missbraucht worden, die Musik selber nicht antisemitisch.

Mehta: Die Musik nicht, Wagner hingegen schon. Aber seine Stücke wurden mit ganz schlechten Lautsprechern in den Konzentrationslagern gespielt, und die Leute, die das erlebt haben, wollen einfach nicht mehr in diese Zeit zurückversetzt werden. Da muss man eben warten, bis diese Leute nicht mehr sind.

Noch heute ist Israel ein bedrohtes Land. Spielt das in Ihrem Hinterkopf eine Rolle, wenn Sie dort musizieren?

Mehta: Die Israelis leben seit 1948 im Krisenzustand. Und die Araber vermehren sich unglaublich, es gibt Millionen, die diesen Staat vernichten wollen. Das ist schon immer präsent. Aber ich war während dreier Kriege in Israel, und die Leute brauchen gerade da die Musik. Während des Jom-Kippur-Krieges hatten wir zwei Konzerte am Tag. Abends das Abonnement, und vormittags ein Freikonzert.

Im Israel Philharmonic spielen keine arabischen Israelis, obwohl sie ein Fünftel der Bevölkerung stellen. Warum ist das so?

Mehta: Solche Musiker im Orchester zu haben ist mein Traum, und wir arbeiten daran. Aber das ist eine langwierige Sache: Wir schicken Professoren der Buchmann-Mehta-Akademie Tel Aviv in die arabischen Städte Israels, um Talente zu suchen. Bis die dann auch reif für das Orchester sind, das wird noch eine Weile dauern. Aber ich bin mir sicher, dass wir eines Tages arabische Israelis dabeihaben werden. Und bei der jetzigen Tour haben wir mit Saleem Abboud-Ashkar sogar einen arabischen Klavier-Solisten dabei. Er wird in Amsterdam und Kopenhagen Beethovens drittes Klavierkonzert spielen. Wir haben mit ihm auch schon oft in Tel Aviv gespielt, und es gab Standing Ovations.

Die Wiener Staatsoper ist eines der letzten Refugien des Repertoire-Systems. Hat diese Art der Spielplangestaltung Zukunft?

Mehta: Im deutschen Sprachraum ja. Das Publikum verlangt einfach danach. Man kann in Wien, München oder Berlin nicht das italienische System mit sieben, acht Opern pro Saison machen. Das würden die Leute dort einfach nicht akzeptieren. In Wien wurde diese Tradition ja schon seit Mahlers Zeiten aufgebaut.

Sie haben heuer mit der wilden spanischen Regie-Truppe „La Fura dels Baus“ die ersten beiden Teile von Wagners „Ring“ gemacht. Die Spanier gelten nicht unbedingt als einfache Partner. Wie klappte die Zusammenarbeit?

Mehta: Ganz im Gegenteil, es war wunderbar. Sie sind extrem flexibel bei der Arbeit und bereit, sofort Dinge zu ändern, wenn es die Musik erfordert. Ich freue mich jedenfalls schon sehr auf die Fortsetzung.

DAS „ISRAEL PHILHARMONIC“

1936 wurde das Orchester vom polnischen Geiger Bronislaw Huberman als „Palestine Symphony Orchestra“ gegründet, die ersten Mitglieder waren Musiker aus Osteuropa.

Der Wagner-Boykott hat Tradition: Wegen des Novemberpogroms 1938 beschloss Huberman, keine Stücke von Wagner mehr in die Konzertprogramme aufzunehmen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.08.2007)

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