Mailänder Scala: Liebestod statt Arbeitskampf

(c) AP (Marco Brescia)
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Intensive Momente bei „Tristan“. Jubel für Chéreau, Barenboim. Der große Wurf blieb aus – ebenso der Streik.

Das „Tristan“-Vorspiel – in Daniel Barenboims schwerblütig-erdhafter Lesart entpuppt es sich rückschauend als Fiebertraum: Morgenstimmung herrscht auf Tristans Schiff, als sich der Vorhang hebt. Langsam steigen die Seeleute aus dem Rumpf empor, gehen an Deck ihrer Routine nach: Waschen, Taue aufrollen, Ladung schleppen. Soviel Naturalismus, soviel Absage an die lange hoch im Wagner-Kurs stehende Reduktion gönnt sich Patrice Chéreau bei „Tristan und Isolde“. Bühnenbildner Richard Peduzzi hebt ja die Szenerie aus dem herkömmlich Konkreten heraus und kleidet vor allem Isoldes psychischen Zustand in architektonische Symbolik.

Eine riesige Ziegelwand ohne Anfang und Ende, einer antiken Stadtmauer gleich, mit blinden Fenstern, herausgebrochenen Steinen, aber ohne jede Lücke und unüberwindlich: So sieht das monumentale szenische Leitmotiv aus, das diesen „Tristan“ optisch prägt. Mit Isolde sind wir eingekerkert in einer fremden, feindlichen Welt, aus der nur die Liebe Fluchtmöglichkeit bietet.

Nach all den Wogen der letzten Wochen gab es zur Saisoneröffnung keine Streiks und Proteste. Erstmals stand „Tristan“-Routinier Daniel Barenboim am Pult – und erstmals erarbeitete Regie-Legende Patrice Chéreau seine Sicht dieser „Handlung in drei Aufzügen“.

Die erhoffte optimale Verschmelzung von Musik und Bühne, die Chéreau zuletzt mit Pierre Boulez bei Janaceks „Aus einem Totenhaus“ gelungen war, wollte sich diesmal nicht einstellen.

Die Gründe: Mit dem Scala-Orchester blieb Barenboim trotz vieler klangschön gelungener Details vor allem der Holzbläser doch deutlich von jenem lange erprobten Wagner-Einverständnis entfernt, das ihn etwa mit den Musikern seines Berliner Stammhauses verbindet. Wie seine lang gezogenen Phrasen und teilweise über Gebühr breiten Tempi noch mit mehr Bedeutung aufzuladen wären, wie einige Unsauberkeiten noch ausgebügelt werden sollten – das zu zeigen, bleibt hoffentlich den Folgevorstellungen vorbehalten. Noch schwerer aber wog das ungleichmäßige Ensemble: Da ließ Michelle DeYoung nachvollziehen, wie unangenehm hoch die Partie der Brangäne liegt, kämpfte Gerd Grochowski als schwachbrüstiger Kurwenal mit den akustischen Tücken des Bühnenbildes.

Meier brilliert – darstellerisch

Die darstellerische Intelligenz und furiose Eindringlichkeit einer Waltraud Meier ist ein Glücksfall für jede Opernbühne. Dass ihre Höhe kaum mehr rein intoniert gelingt und knöchern tönt, tut der Isolde weniger gut. Doch Meier weiß alle Vorgaben Chéreaus umzusetzen – bis hin zum Liebestod.

Der britische Tristan-Debütant Ian Storey ist ein gestandenes Mannsbild – und mit baritonalem, durchschlagskräftigem Tenor ein neuer Repräsentant jener raren Spezies, die „Tristan“-Aufführungen auf gutem Niveau überhaupt möglich macht. Er steigert sich zwar darstellerisch von Akt zu Akt, schaut aber jeweils nur brav in die verlangte Richtung. Die Konfrontation von Tristan und Isolde im ersten Akt, auch das große Liebesduett im zweiten, sind Szenen, die in der Personenführung eher konventionell wirken.

Seine Theaterpranke beweist Chéreau am Schluss. Fast hätte Marke, der seiner Braut aufs Schiff entgegeneilt, gesehen, wie die Liebenden in Ekstase übereinander hergefallen waren – die treuen Seeleute und Mannen verhindern den Skandal, indem sie sie noch rechtzeitig auseinander reißen: eine ungemein packende Szene.

Die Marke-Episode ist ganz auf den leidenden Hünen Matti Salminen zugeschnitten: Da fängt Melot (hervorragend: Will Hartmann) gleich eine königliche Backpfeife, weil er Tristans Verrat am väterlichen Freund aufdeckt, zeigt eine Umarmung der Rivalen die Tiefe ihrer Beziehung – und weichen alle entsetzt vor Markes Anklagen zurück. In solchen Momenten grub sich dieser Abend tief ins Gedächtnis und rechtfertigte den großen Jubel.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.12.2007)

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