Dresden: Verdi – spannend und berührend

(c) Matthias Creutzige
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Christian Thielemann versteht sich auch auf Verdi. Das zeigte er bei „Simon Boccanegra“ in der Semperoper. Leider zu viele verzichtbare Regieeinfälle.

Nach der Römischen Oper unter der Leitung von Riccardo Muti – zum Auftakt des Verdi-Jahrs – brachte nun auch die Dresdner Semperoper eine Neuproduktion von „Simon Boccanegra“. Die Erwartungen, die man in das – zum Großteil auch in Wien gut bekannte – exzellente Sängerensemble sowie in Christian Thielemann und seine Staatskapelle gesetzt hatte, wurden bei der Premiere durchaus erfüllt. Voran Dirigent, Orchester und Titelheld begeisterten.

Thielemann, in aller Welt gefeiert für seine Wagner- und Strauss-Interpretationen, demonstrierte, dass auch Verdis Musik zu seiner Domäne zählt. Er brachte die emotionale Bandbreite des Werkes voll zur Geltung, mit all seinen spannungsgeladenen Höhepunkten – etwa den Dialogen Simons und Fiescos – und berührenden Momenten, in der Erkennungsszene zwischen Simon und seiner Tochter ebenso wie in der Sterbeszene des Dogen. Wo das Orchester reine Begleitfunktion hat, ist keiner der Sänger zu athletischen Kraftleistungen angehalten. Wo Verdi geradezu symphonisch aufspielen lässt und das Orchester quasi solistisch in den Mittelpunkt stellt, zieht die Staatskapelle freilich alle Register ihres reichen Orchesterklanges.

In Höchstform: Željko Lučić

Die Seele das Abends war der für seine Gestaltung der Titelrolle zu Recht umjubelte Željko Lučić, in der Darstellung zurückhaltend, doch stimmlich in Höchstform. Mit warmem, kraftvollem Bariton modellierte er alle Nuancen des Simon, den verzweifelten Gatten, die mächtige Herrscherfigur, den liebenden Vater, den leidvoll Sterbenden.

Maria Agresta, schon unter Muti in Rom als Amelia gefeiert, reüssierte auch in Dresden in dieser Rolle. Nach kleinen Unsicherheiten zu Beginn trumpfte sie mit sicherem Sopran auf, mit kraftvoller Höhe ebenso wie mit edlen Pianophrasen. Ramón Vargas überzeugte als gefühlsvoller Gabriele Adorno – bis auf wenige Augenblicke am Ende seiner Arie im zweiten Akt – völlig: Seine inzwischen schon zum Spinto-Tenor tendierende Stimme ließ die emotionalen Wechselbäder des Gabriele Adorno – Liebe, Hass, Verzweiflung – ohne Einschränkungen hörbar werden, was das Publikum lautstark honorierte.

Ängste und Traumata

Kwangchul Youn als Jacopo Fiesco fand in den berührenden Momenten seine Höhepunkte. Markus Marquardt gab Paolo, Verdis derb gezeichnetem „Mann für das Grobe“, stimmlich wie darstellerisch Profil. Solide die Nebenrollen, Andreas Bauer als Pietro, Christl Loetzsch als Magd und Christopher Kaplan als Hauptmann.

Karin Jud hat die Protagonisten in Kostüme gewandet, in denen sich dezent drei Zeitepochen mischen: das Genua des 14. Jahrhunderts, die Zeit der Entstehung der Oper und unsere Gegenwart. Doch deutlich weniger Zuspruch als Dirigent und Sänger fand bei den Dresdner Opernfreunden das Regieteam – Jan Philipp Gloger, Inszenierung, und Christof Hetzer, Bühnenbild, beide nicht unbekannt dank ihrer aktuellen Bayreuther Inszenierung des „Fliegenden Holländers“. Allzu sehr setzte Gloger auf die optische Umsetzung von Ängsten und Traumata der Protagonisten. Permanent erscheinen zombieähnliche Erscheinungen aus der Vergangenheit, teilweise völlig überraschend, meist aus nicht nachvollziehbarem Anlass. Die Personenführung wirkt durchwegs geprägt von Überzeichnungen, etwa von Amelias traumatischen Kindheitserinnerungen, oder von wiederholten Darstellungen brutaler Straßenkriminalität im Bühnenbild aus düsteren, klobigen, unterschiedlich gefärbten Quadern auf immer wieder bewegter Drehbühne. So trüben viele verzichtbare Regieeinfälle ein musikalisches Ereignis der Sonderklasse.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.06.2014)

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