Salzburg: Tenorduelle und Töne leiser Wehmut

(c) Salzburger Festspiele
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Rossinis "Otello" mit Cecilia Bartoli als vor allem im Lyrischen eindringlicher, von drei Tenören begehrter Desdemona.

Großartig, diese Geschlossenheit des dritten Akts! Fast nahtlos gehen die Nummern ineinander über: Düstere Blechakkorde machen die Einleitung, ein Gondoliere singt von fern Dante (!), Desdemona stirbt während eines im Orchester tobenden Gewitters... Hier schlug nochmals die große Stunde der Cecilia Bartoli. Weniger allerdings in jenem neuerlichen Furor, mit dem sie sich Otellos Raserei entgegenzustellen wagt und der ihr bei allem szenischen Impetus stimmlich doch schon recht blass und angestrengt geriet, sondern zuvor, im lyrischen, ganz konzentriert und intensiv vorgetragenen Lied von der Weide und dem folgenden Gebet.

„Die Gegner verschreien Rossinis Musik als einen leeren Ohrenkitzel; lebt man sich aber näher in ihre Melodien hinein, so ist diese Musik im Gegenteil höchst gefühlvoll, geistreich und eindringend für Gemüt und Herz, wenn sie sich auch nicht auf die Art der Charakteristik einlässt, wie sie besonders dem strengen deutschen musikalischen Verstande beliebt“, heißt es in Hegels „Vorlesungen über die Ästhetik“. Gioachino Rossini, übrigens ein großer Bach-Verehrer, machte sich als Geschäftsmann und Bühnenpragmatiker keine Illusionen über sein Publikum: Es sei „vergebene Mühe, in Italien höhere Musik zu schreiben, die Zuhörer schlafen dabei ein.“

Als Meister der Buffa ist Rossini jenseits aller Kulturkämpfe auch nördlich der Alpen längst anerkannt, seine Opere serie haben es dagegen bis heute deutlich schwerer: Gerade bei ihnen drohen manche Opernfreunde einzunicken. Um das „Rossinissimo!“ der Salzburger Pfingstfestspiele abzurunden, musste jedoch auch eine Seria aufs Programm. Der seinerzeit gefeierte, dann lange Zeit völlig im Schatten von Verdis Spätwerk verschwundene „Otello“ war da keine üble Wahl. Wenn Hegel Rossini vorwirft, er werde gelegentlich „dem Text untreu“ und gehe „mit seinen freien Melodien über alle Berge“, dann darf man den Komponisten hier in Schutz nehmen: Er vertont nämlich (mit teils kräftigen Selbstanleihen) durchaus getreulich das dramaturgisch nicht unproblematische Libretto von Francesco Berio, das übrigens gar nicht direkt auf Shakespeare, sondern auf freien französischen Adaptionen des Dramas fußt.

Alle drei begehren Desdemona

Die Rolle Iagos ist zurückgedrängt, Rodrigo hingegen zum direkten Liebesrivalen Otellos aufgewertet. Der „Moro di Venezia“ wird mehr wegen seines gesellschaftlichen Außenseitertums als durch Kabalen zum Eifersuchtsmörder. Alle drei begehren Desdemona, alle drei sind Tenöre, wegen der 1816 in Neapel verfügbaren Sänger. Dass dort auch das Orchester höchstes Niveau zeigte und musikalische Neuerungen willkommen waren, merkt man auf Schritt und Tritt: Zahlreiche Bläsersoli von filigranen Holzeinwürfen bis zu ausgedehnten romantischen Hornkantilenen bereichern das Geschehen, das zudem durchwegs von Accompagnato-Rezitativen vorangetrieben wird. Jean-Christophe Spinosi zeichnete all das mit seinem Ensemble Matheus im Großen Festspielhaus viel spannender und plastischer nach, als ihm das bei der „Cenerentola“ im akustisch problematischen Haus für Mozart gelungen war.

Die passable Inszenierung von Moshe Leiser und Patrice Caurier (Premiere 2012 in Zürich) erzählt das Geschehen im Venedig der 1960er-Jahre, betont die Rolle des Rassismus, den Peter Kálmán als strenger Elmiro personifiziert, aber auch das pubertär-selbstbewusste Aufbegehren seiner Tochter Desdemona und lässt den durchwegs uniformierten Otello in einem zweifelhaften Immigrantenbeisl hausen. John Osborn stattet ihn mit leicht heldischem Aplomb aus und duelliert sich mit dem lyrischeren Zivilisten Rodrigo (Edgardo Rocha) mittels hoher Töne, während Barry Banks als Iago hinter Türen lauert und sängerisch gut mithält.

Zum Schlafen gab es jedenfalls keinen Anlass, wohl aber erneut für jenen Jubel, der bei den Pfingstfestspielen heuer durchwegs besonders üppig ausgefallen war.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.06.2014)

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