Was sollen wir denn mit Christoph Willibald Gluck anfangen?

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1714 kam in der Oberpfalz ein Förstersohn zur Welt, der zum Hofkomponisten in Wien und zum umstrittenen Opernreformator in Paris wurde, hoch geehrt von Meistern wie Beethoven, Wagner und Strauss - doch kaum noch beachtet von heutigen Musiktheaterintendanten.

Gluck? Der Förstersohn aus der Oberpfalz galt einst als „vierter Wiener Klassiker“, neben Haydn, Mozart und Beethoven. Mittlerweile hat das Publikum mangels Wunschkonzerten sogar schon verlernt, das „Ach, ich habe sie verloren“ mitzusummen. Die „Orpheus“-Arie bietet übrigens das beste Beispiel für die wackelige Position des Komponisten im Gefüge unseres Musikgeschichtsverständnisses: Der schönen C-Dur-Melodie könne jeglicher Text unterlegt werde, heißt es, und, für sich genommen, klinge sie alles andere als schmerzlich.

Das ist freilich eine Sache der Interpretation, doch davon später.

Die Frage, wie genial Gluck denn nun wirklich war, ob er überhaupt genial war, zieht sich wie ein roter Faden durch die Musikliteratur. Nikolaus Harnoncourt bekannte einmal: „So viel Geld können Sie mir gar nicht bezahlen, dass ich Gluck aufführen würde.“

Und doch weht noch ein leiser Bedeutungshauch um den Namen. Man weiß um die heftigen Debatten, die das Paris des Ancien régime führte. Worüber ist damals gestritten worden? Über die bewusste Erneuerung des Musiktheaters? Die Nachwelt höhnt: So modern war Glucks Musik auch wieder nicht. Restbestände von Opera buffa und seria hier, Anbiederung an die Tragédie lyrique in der Lully-Nachfolge da, zwischendrin Pathos – und ziemlich wenig Melodie...

Vielleicht nützt ein Blick auf eine der berühmtesten Szenen aus der Feder des Komponisten, um zumindest zu erahnen, was die Gemüter einst in Wallung geraten ließ. Gegen Ende des ersten Akts von „Alceste“ besingt die Titelheldin die Gottheiten der Unterwelt. Das Werk feierte am Wiener Burgtheater 1767 Premiere: Alceste beschwört die „Ombre, Larve“ in einer durchaus barocken Vorbildern abgekupferten Da-capo-Arie. Neun Jahre später, in Paris, gibt Gluck dem Monolog Profil, indem er die Sopranstimme über den ursprünglich rein instrumentalen Schlusstakten mit großem melodischen Schwung zum hohen B führt.

Aber der Feueratem der Callas!

Und plötzlich haben wir eine zukunftsweisende, expressive Gesangsszene vor uns. Freilich bedarf sie der Belebung durch eine fantasievolle Interpretin. Lang ist die Liste illustrer Gestalterinnen. Von Leontyne Price über Marilyn Horne bis zu Wagner-Heroinen vom Format Kirsten Flagstads spannt sich der Bogen. Wobei Alceste bei Christel Goltz wie ein Vorecho auf Beethovens Leonore klingt, bei der (deutsch singenden) Inge Borkh wie das Vorbild für Wagners Sieglinde – und das hat wenig mit der Sprache zu tun, sondern mit dem Gesangsstil!

Glucks dramaturgischer Geist beschwört offenbar wirklich die Opernzukunft. Und es ist eine Frage der interpretatorischen Intensität, nicht der stilistischen Ausrichtung, ob sich der erwünschte Effekt einstellt. Eine Sängerin von Brünnhilden-Format wie Helen Traubel serviert die Phrasen in einem, auf den Spitzenton zusteuernden großen Atemzug. Eine Stilistin wie Suzanne Danco erfüllt den Anspruch, belkanteske Linienführung durch ausdrucksvolle, aber behutsam dem melodischen Bogen einverleibte Nuancierung zu dramatisieren. Das klingt dann wie ein Brückenschlag zur aufführungspraktisch wohlinformierten Gegenwart einer Anne Sofie von Otter, die mit John Eliott Gardiner eine textlich noch dem Wiener Originallibretto angenäherte Version der französischen Szene aufgenommen hat; wobei Gardiner den Orchesterpart verlebendigt und aus seiner bloßen Begleitfunktion zu befreien versucht.

Was diesbezüglich möglich wäre, hört man bei Georges Prêtre, der Maria Callas assistiert hat. Die Primadonna assoluta kämpft, da, spät in ihrer Karriere, schon um die Spitzentöne – doch hört man, auch weil Prêtre mit radikal markierten Posauneneinsätzen unterzündet, welch feurige Intensität sensiblere Geister im königlichen Theater in Paris einst irritiert haben könnte.

Wie die Callas in besseren Zeiten die „Divinités du Styx“ beschwor, lässt sich trotz miserabler Tonqualität auf dem Livemitschnitt aus Mailand unter Carlo Maria Giulini, 1954, erahnen. Und man denkt: Es war auch die Callas, die Donizetti und Bellini in die großen Theater zurückgeholt hat – Material für exzellente Gestalter wie die „Well-made Plays“ unserer Tage für große Schauspieler. Alles, wie gesagt, eine Sache der Interpretation. So gesehen hat Gluck ja auch mit 300 noch Chancen.

CHRISTOPH W. GLUCK

1714 kam Christoph Willibald Gluck als Sohn eines Forstmeisters in der Oberpfalz zur Welt.

Ab 1761 erschienen im Wiener Burgtheater die ersten sogenannten Reformopern auf der Bühne.

1771 dehnte Gluck seine Aktivitäten nach Paris aus.

1787 starb der Komponist, der seit Jahren kaum noch Neues veröffentlicht hatte, in Wien. [ Archiv ]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.07.2014)

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