Benjamin Brittens Erbe blüht

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Beim Festival im englischen Suffolk steht in ländlicher Atmosphäre die Musik im Mittelpunkt, sei sie alt oder neu. Mit dabei: das Klangforum Wien und Thomas Zehetmair.

Benjamin Britten war tief verwurzelt in seiner Heimat Suffolk, liebte die weite Landschaft, die gotischen Gotteshäuser, die Marschen, die Fischerdörfer und natürlich Möwen, Wind und Meer. Man hört es in seiner Musik. Dem Aldeburgh Festival of Music and the Arts, das der Komponist dort 1948 gemeinsam mit seinem Lebensgefährten Peter Pears gegründet hat, ist es genauso anzumerken – und auch, dass Britten passionierter Autofahrer war. In dem Küstenstädtchen Aldeburgh und rund um dieses sind die vielfach intimen Aufführungsstätten in Kirchen oder Dorfsälen verteilt, wodurch Suffolk als ländlich-abgeschiedener Schauplatz gleichsam immer mitspielt – auch im mit 832 Plätzen vergleichsweise großen Saal von Snape Maltings, einer aufgelassenen Malzdarre, die 1967 als Konzert- und Opernbühne des Festivals eröffnet werden konnte.

Uraufführungen, Alte Musik und klassisches Repertoire wirkten hier immer wieder eng zusammen und banden von Beginn auch breites einheimisches Publikum, das dem Festival über alle Abschiede und Veränderungen hinweg treu geblieben ist: Britten starb 1976, Pears 1986. Kommt mittlerweile die Hälfte der Gäste von weit her, sprechen die Älteren noch heute mit großer Achtung und rührender Vertrautheit von „Ben“ und „Peter“: eine familiäre und dabei musikalisch sehr aufgeschlossene Atmosphäre, die seinerzeit von Rostropovich, Richter oder Fischer-Dieskau ebenso geschätzt wurde wie von großen Interpreten der Gegenwart.

Zu ihnen zählt Pierre-Laurent Aimard, seit 2009 künstlerischer Leiter in Aldeburgh und, wiewohl selbst kein Komponist, musikalisch ähnlich umfassend interessiert und engagiert wie einst Britten selbst. Nach dem Britten-Zentenarium 2013, das nicht zuletzt mit einer gefeierten Freilichtproduktion von „Peter Grimes“ am Strand begangen wurde, bildete heuer, 100 Jahre nach dem Beginn des 1. Weltkriegs, Brittens pazifistische Oper „Owen Wingrave“ den szenischen Schwerpunkt, im Orchestergraben vom jugendlich besetzten Britten-Pears Orchestra betreut.

Erinnerungen an den Festivalgründer

Neben Kammer- und Chorkonzerten erarbeiteten nicht zuletzt Aimard und seine Frau Tamara Stefanovich mit jungen Pianisten Ligetis Préludes in einer Meisterklasse nebst Abschlusskonzert, während Ian Bostridge und Thomas Adès mit einer „Winterreise“ Erinnerungen an die Festivalgründer weckten. Machte zwischenzeitlich ein „Musicircus“ à la John Cage (alle sind willkommen und singen oder spielen das, was sie wollen) mit tausend Mitwirkenden und etwa doppelt so vielen Hörern den größten Rambazamba, gab es nun am letzten Festivalwochenende in einer Reihe vielfältiger Konzerte erneut ganz Erlesenes zu hören.

Etwa war das Klangforum Wien erstmals in Snape Maltings zu Gast, um unter Ilan Volkov ein Komponistenporträt des 67-jährigen Tristan Murail mitzugestalten. In der Scelsi-Hommage „Un sogno“ zieht Murail nicht verwendete Skizzen des italienischen Esoterikers in Form von dessen berühmt-berüchtigten Tonbändern heran, verwebt sie respektvoll, aber eigenständig zu neuen Texturen und bietet sogar der Elektronik Raum für eine virtuose Kadenz: opulent-auratische Klänge, die zu später Stunde dann im Sextett „Winter Fragments“ ihre manchmal harsch klirrende, durchaus bildlich an Hagel und Eiszapfen gemahnende Fortsetzung fanden.

Davor hatte Aimard als Solist in Murails Klavierkonzert „Le désenchantement du monde“ einen zwischen Poesie und Aussichtslosigkeit vielfältig changierenden Kampf gegen die einmal subtil schillernden oder fein zerstäubten, dann wieder gleißend sich auftürmenden Klangmassen geführt, die das BBC Symphony Orchestra unter Sakari Oramo mobilisierte. Eine faszinierende Tour de force, zu der Janáceks fragmentarisch nachgelassenes Violinkonzert durchaus passte: Thomas Zehetmair erfüllte den Solopart mit rotglühend-intensivem Ton – und sorgte tags darauf am Pult des Chamber Orchestra of Europe für den passenden Rahmen etwa der lebhaften Dialoge in Mozarts Doppelklavierkonzert KV 365 mit Aimard und Stefanovich.

Daneben erfreute das formidable Arcanto Quartet mit Mozarts überaus subtil und feinsinnig modelliertem KV 464 sowie, erweitert um Antoine Tamestit und Olivier Marron, mit Brahms' G-Dur-Sextett: wahrlich erlesene Kammermusik.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.07.2014)

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