Premiere in Salzburg: Trance-Ritual der Sufi

Musik als Weg mystischer Erfahrung. Bei der „Ouverture Spirituelle“ finden heuer vier Konzerte mit Sufi-Musikern statt.
Musik als Weg mystischer Erfahrung. Bei der „Ouverture Spirituelle“ finden heuer vier Konzerte mit Sufi-Musikern statt.Salzburger Festspiele
  • Drucken

Im Rahmen der „Ouverture Spirituelle“, die eine musikalische Begegnung von Christentum und Islam versucht, präsentieren sich Angehörige eines islamischen Ordens.

Dass die besten Sänger und Instrumentalisten zu den Festspielen nach Salzburg kommen, das ist man gewohnt. Ein kleines Wunder ist es aber, wenn Angehörige eines mystischen islamischen Ordens sich bereit erklären, dort vor Zuschauern eines ihrer Rituale auszuüben, das sie näher zu Gott bringen soll. Noch dazu eine Bruderschaft, die sich sonst überhaupt nicht bei ihren Zeremonien zusehen lässt (und zunächst, wie man hört, von den Festspielen kein Geld annehmen wollte).

Al-Gazoulia heißt sie, ihr erster Auftritt ist am Sonntag bei der „Ouverture Spirituelle“, die heuer eine musikalische Annäherung von Islam und Christentum bringt: Geistliche Werke von Händel bis Haydn, Bach bis Bruckner treffen auf Sufi-Gesänge sowie Werke zweier Zeitgenossen, die an einen berühmten Sufi erinnern.

In der Tradition der Eremiten

Sufi? In Europa kennt man von den islamischen Mystikern meist nur ihre kreiselartigen Trancetänze: Die tanzenden Derwische mit ihren hohen Hüten sind in der Türkei eine Touristenattraktion, obwohl die Sufi-Bruderschaften seit Atatürk offiziell verboten sind; nur als „Kulturvereine“ sind sie geduldet, den Touristen setzt man am liebsten Schauspieler vor. „Derwisch“ kommt vom arabischen Wort für „Tür“, „Dar“, weil diese Männer als fromme Bettler von Tür zu Tür gingen. „Sufi“ stammt vermutlich von „Suf“, dem arabischen Wort für Wolle, und bezieht sich auf die einfachen Wollkutten der Sufis. Die ersten muslimischen Mystiker tauchten schon wenige Jahrzehnte nach dem Tod Mohammeds auf und sahen sich noch in der Tradition christlicher Eremiten.

In einen solchen Wanderderwisch verliebte sich im 13.Jahrhundert ein aus Persien stammender Koran-Gelehrter unsterblich: Die Begegnung endete in Verzweiflung, Celaleddin Rumi wurde zum berühmtesten Sufi-Mystiker und zu einem der größten persischsprachigen Dichter. Seine Verse besingen die Liebe zu Gott und (zugleich) zum Geliebten und heben nicht nur die Grenzen zwischen den Religionen auf („Ich bin weder Christ noch Jude, auch Parse und Muslim nicht“), sondern auch zwischen Gottsucher und Gott. Rumi predigte die Einheit alles Seienden, die Einheit von Gott und Mensch.

Ein Weg zur Auflösung des Ich war die Ekstase, zu ihr konnte Musik verhelfen: Schon im neunten Jahrhundert versetzten sich Mystiker in Bagdad mit ihr in Trance, Rumi hat die Musik als Weg mystischer Erfahrung populär gemacht. „Sema“ oder „Sama“, vom arabischen Wort für „Hören“, nennt man den mystischen Tanzreigen zu Musik, begleitet etwa von der Rohrflöte Nai, Rumis Lieblingsinstrument. Der auf Rumi zurückgehende türkische Mevlevi-Orden praktiziert dieses Ritual noch heute. Ein anderes musikalisches Sufi-Ritual ist das endlose rhythmisierte Rezitieren des Namens Gottes, das „dhikr“ („Gedenken“) genannt wird. Rumi hat so unterschiedliche Musiker fasziniert wie Madonna (im Lied „Bittersweet“ sang sie ein Rumi-Gedicht) oder den polnischen Komponisten Karol Szymanowski; dessen dritte Symphonie thematisiert Worte des Mystikers.

Bei der „Ouverture Spirituelle“ der Festspiele steht aber heuer ein früherer Mystiker im Mittelpunkt: Hussein Ibn Mansur, der sich selbst Hallaj nannte. Er hat viel von Rumis radikaler Einheitsmystik vorweggenommen und wurde im Jahr 922 als Ketzer hingerichtet. Für ihn waren alle Religionen Zweige eines „Wurzelgrunds“; als Provokation missverstanden wurde sein Spruch „Ana al-haqq“ („Ich bin die absolute Wahrheit“). Jeder Tropfen Blut bei seiner Hinrichtung, so geht die Legende, bildete das Wort „Allah“, Hallaj lächelte bis zuletzt, und noch aus der Asche kam der Schrei „Ana al-haqq“.

Der österreichisch-ägyptische Komponist Hossam Mahmoud hat über Hallajs letzte Worte ein Stück namens „Seelenfäden“ für die Festspiele geschrieben. Der zweite Komponist, der sich bei der „Ouverture Spirituelle“ Hallaj widmet, ist der palästinensisch-israelische Komponist Samir Odeh-Tamimi. Er hat sein Werk „Mansúr“in Anlehnung an traditionelle Sufi-Rituale geschrieben. Hallajs Texte habe er durch einen Traum kennengelernt, erzählt er. Darin habe ein Mann, sich drehend, in der Luft geschwebt und gesagt: „Ich gehöre zu denen, die vom Schlaf nie überfallen werden.“ Ein Freund sagte ihm dann, Hallaj habe diese Worte verwendet, und gab ihm einen Gedichtband von ihm. Die Texte von Hallaj hätten meist einen tanzenden, schwebenden Rhythmus, sagt Odeh-Tamimi. Auch von den Sufi-Ritualen, die er in seiner Familie miterlebte, war er schon als Kind fasziniert, wegen der Musik.

Spiegel der Schönheit der Welt

Die Sufi-Mystik sah Musik als wesentlichen Weg der Gottsuche an. Im Gegensatz dazu steht im Islam die orthodoxe Tendenz, Musik als „unislamisch“ abzulehnen; Musik stand im Verdacht, Unzucht und Alkoholgenuss zu fördern. Auch die Sufis waren der Orthodoxie nicht zuletzt wegen ihrer Musik ein Dorn im Auge. Der berühmte islamische Denker Al-Ghazali vermittelte im elften Jahrhundert zwischen Sufismus und Orthodoxie. Er beurteilte Musik sehr differenziert – als Mittel, das zum Besten wie zum Schlechtesten dienen könne. „Was immer die Liebe zu Gott mehren kann, ist höchst verdienstvoll“, schrieb er, und das sei zumindest ursprünglich das Ziel der Sufi-Musik. Und Musik habe Reize, die man nirgendwo außerhalb von ihr finden könne, sie spiegle die Schönheit der Welt.

Und die kann so unterschiedlich klingen. Der Salzburger Geiger Frank Stadler erkannte sein Instrument nicht wieder, als ein arabischer Musiker darauf improvisierte: „Es war ein völlig anderer Klang, ein ganz anderes Kolorit.“ Stadler wirkt am zweiten Auftritt des Sufi-Ordens in Salzburg mit. Er wird über die Sufi-Gesänge improvisieren und sie mit Bachs „Chaconne“ für Solovioline verbinden. Seit acht Jahren, erzählt er, lerne er beim Komponisten Hossam Mahmoud arabische Takassim-Improvisation: „Takassim ist kein Freejazz, da wird in einem strengen Rahmen, mit bestimmten Tonskalen improvisiert. Was bei uns die Tonart, ist in der arabischen Musik die Skala, sie macht die Emotion. Diese Skalen muss man sehr gut kennen, dann kann man auch zwischen ihnen wechseln.“

SUFI-MYSTIK IN SALZBURG

Am 20.Juli vollzieht der Sufi-Orden Al-Tariqa al-Gazoulia aus Kairo eine mystische Zeremonie mit Gesang und orientalischen Instrumenten. Am 24.Juli tritt er mit dem Geiger Frank Stadler auf, der den Sufi-Gesang mit Bachs Chaconne verbindet. Am 22.Juli werden die „Seelenfäden“ uraufgeführt, nach einem Text des Mystikers Hallaj. Am 26.Juli folgt das auch Hallaj gewidmete „Mansur“. Alle Aufführungen finden abends in der Kollegienkirche statt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.07.2014)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Bühne

„Oratorium ohne Worte“: Was Harnoncourt mit Mozart macht

Im Rahmen der „Ouverture spirituelle“ dirigiert Nikolaus Harnoncourt am Montag im Salzburger Haus für Mozart – wie schon zuvor bei der Grazer Styriarte – Mozarts letzte drei Symphonien.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.