„Eine Musik wie Honig und Blut“ Savalls Beitrag zur Versöhnung

SAVALL
SAVALLAPA/ROBERT JAEGER
  • Drucken

Ouverture spirituelle: Jordi Savall, eigentlich Experte für alte Musik, mischt die Salzburger Festspiele mit Musik vom Balkan auf.

Es wird lustvoll, fröhlich, ungestüm, laut, aber auch traurig und sehnsuchtsvoll: Mit den zarten Klängen der Gambe und den strengen Formen alter Musik hat das, was Jordi Savall mit seinen Musikerfreunden am Sonntagabend bei den Salzburger Festspielen präsentieren wird, wenig zu tun. „Bal.Kan“ – „Honig und Blut“ – nennt sich das neueste Projekt des spanischen Musikwissenschaftlers und Gambisten. „Ich habe mir damit einen Herzenswunsch erfüllt“, sagt Savall. Der bald 73-Jährige hat sich auf eine musikalische Spurensuche in die Balkanregion begeben und Lieder und Stücke ausgegraben, die in Vergessenheit zu geraten drohen.

Alte Notenblätter und Aufzeichnungen wurden hervorgeholt, mündliche Überlieferungen gesammelt. „Musik ist die Kunst der Erinnerung. Sie existiert nur dann, wenn ein Sänger oder Instrumentalist sie zum Leben erweckt“, sagt Savall. Den Anstoß gab ein Konzert in Barcelona vor zwei Jahren, das an die vier Jahre dauernde Belagerung Sarajewos im Jugoslawien-Krieg vor 20 Jahren erinnern sollte. Savall lud 40 Musiker aus der gesamten Region ein, ihre Lieder mitzubringen.

Krieg und Gräben

„Das ist eine Region, von der kennen wir nur die tragischen Seiten und den Krieg. Wir haben die lange Geschichte und die große Kultur vollkommen vergessen“, begründet er seine Initiative. Er wollte einen musikalischen Beitrag zur Versöhnung leisten. Auf der Bühne versammelten sich Christen, Muslime und Juden, sie kamen aus den unterschiedlichsten Gegenden der in der Geschichte so oft in blutige Auseinandersetzungen verstrickten Region: aus Armenien, der Türkei, aus Bosnien, Montenegro, Mazedonien und Serbien. Völker, die sich gegenseitig massakrierten, friedlich in der Musik vereint. „Die Versöhnung ist das Schwerste in dieser Region. Es sind noch so viele Wunden da, die nicht verheilt sind“, sagt Savall. Doch die Musik könne diese Gräben vielleicht überwinden helfen.

Aus dem Konzert für Sarajewo entstand das Ensemble Hespèrion XXI: Sänger und Musiker aus zwölf verschiedenen Ländern mit unterschiedlichem kulturellen und religiösen Hintergrund. Sie haben gemeinsam eine CD-Sammlung eingespielt, die vom Zyklus des Lebens erzählt und die unterschiedlichen Stimmen in der Region vereint: Lieder über Schöpfung, Geburt, Liebe, Heirat, Familie, Reife, Reisen, Exil und Tod. Dass die Ouverture spirituelle der Salzburger Festspiele heuer christliche und islamische Musik gegenüberstellt, war für Savall ein Glücksfall. Sein Balkan-Projekt ist wie gemacht für diesen Ouverture-Schwerpunkt.

„Blut und Honig“ als Titel für den Abend in der Kollegienkirche kommt nicht von ungefähr: Das Wort Balkan stammt aus dem Türkischen und bedeutet „Blut und Honig“. Es geht auf die Zeit der Besetzung des Territoriums durch die Osmanen zurück, die dort einerseits Reichtum, Früchte und die Süße des Honigs antrafen, aber auch ungebändigte, kriegerische, aufständische Völker, die ihnen mit wilder Entschlossenheit entgegentraten, heißt es im Begleitheft der CD.

„Die Musik vom Balkan hat mich und meine Frau über 40 Jahre begleitet“, erzählt Savall. Aber aktiv gespielt hat er sie nicht. Für das Projekt habe er sich intensiv eingearbeitet und mit den Musikern geprobt. Die Vielfalt an Farben und Kulturen dieser Lieder und Stücke ist für den Musiker unvergleichlich. In Salzburg spielt Hespèrion XXI nicht nur auf den Instrumenten, sondern es wird auch gesungen. „Die Stimme ist unser erstes Instrument, der Gesang spricht direkt die Seele an“, so war diese Weiterentwicklung für den Spanier ein logischer Schritt. Jede Stimme habe ihren eigenen Charakter. „Eine armenische Stimme klingt wie eine Duduk, eine bulgarische wie eine Oboe, eine serbische wie ein Akkordeon“, findet der Musiker. Die Duduk ist übrigens eine armenische Flöte.

Sich mit dem musikalischen Schatz des Balkans zu beschäftigen, hat den Spanier ungemein bereichert. Es war eine Entdeckungsreise in ein neues Universum: „Diese Musik ist wie Honig und Blut. Der Gesang kann ganz süß sein oder wie ein Messer, das einen mitten ins Herz sticht.“

ZUR PERSON

Balkanmusik. Der am 1. August 1941 geborene Spanier Jordi Savall ist Musikwissenschaftler, Gambist und Komponist. Er hat sich als Spezialist für alte Musik international einen Namen gemacht. In den vergangenen Jahren hat sich Savall intensiv mit der Musik des Balkan beschäftigt und das Ensemble Hespèrion XXI ins Leben gerufen. Am Sonntag, den 27. Juli, gastiert Savall mit Hespèrion XXI im Rahmen der Ouverture spirituelle bei den Salzburger Festspielen. Das Konzert findet um 20.30 Uhr in der Kollegienkirche statt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.07.2014)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.