Das tödliche Gift der Familie Haber

SALZBURGER FESTSPIELE 2014: FOTOPROBE ´THE FORBIDDEN ZONE´
SALZBURGER FESTSPIELE 2014: FOTOPROBE ´THE FORBIDDEN ZONE´(c) APA/BARBARA GINDL (BARBARA GINDL)
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Katie Mitchell inszeniert auf der Pernerinsel ein Gesamtkunstwerk. „The Forbidden Zone“ will alles sein: dichte Textcollage gegen Krieg samt Trauermusik, Film, Lehrstunde übers Filmemachen.

Wie ein Filmset hat Katie Mitchell die Bühne für das Stück „The Forbidden Zone“ gestalten lassen, das am Mittwoch bei den Salzburger Festspielen auf der Pernerinsel in Hallein als ein Kernstück zur Erinnerung an die Schrecken des Ersten Weltkriegs uraufgeführt wurde. Diese Anordnung kennt man von früheren Arbeiten der englischen Regisseurin. Zuletzt hatte sie fürs Burgtheater Peter Handkes Griffen nachbauen lassen, um den Roman „Wunschloses Unglück“ als Drama umzusetzen. Diesmal sind die von Lizzie Clachan geschaffenen Kulissen noch aufwendiger: Rechts sieht man das Arbeitszimmer des Chemikers Fritz Haber (Felix Römer) in seiner Berliner Villa, daneben den Garten samt Becken. In der Mitte befindet sich ein Lazarett aus dem Ersten Weltkrieg in Frankreich, links ist Chicago – ein Labor, in dem Habers Enkelin Claire (Jenny König) nach dem Zweiten Weltkrieg arbeitet, und vorn ein Waggon (Nr.484), der geteilt und verschoben werden kann.

Chlorgas in Ypern, Zyanid in Chicago

Das ist notwendig, denn in den siebzig Minuten wird nicht so sehr Theater gespielt, sondern tatsächlich in Realzeit ein Film gedreht. Auf einer großen Leinwand über dem Set sieht man, was unten von Kameraleuten in exakter Choreografie gerade aufgenommen wird. Man muss sich entscheiden: Will man sehen, wie die Schauspieler unten, teils durch Kulissen verdeckt, zurückhaltend, fast wortlos wie Stummfilmstars in diesem Dreh umtänzelt werden? Oder konzentriert man sich auf die Nahaufnahmen oben? Der Zug, der unten steht, scheint auf der Leinwand zu fahren, Licht flackert, es rattert – erstaunlich, welche Täuschung Mitchell und ihr Team hier vollbringen. Die Szenen sind perfekt arrangiert. Man sieht nicht nur einen Problemfilm, sondern parallel seine Entstehung.

Wie weit aber kann und soll diese Überforderung der Perzeption bei dieser Koproduktion der Salzburger Festspiele mit der Berliner Schaubühne am Lehniner Platz in Zusammenarbeit mit Prospero getrieben werden? In „The Forbidden Zone“ werden nämlich auch noch dichte Texte mehrsprachig samt Übertiteln verarbeitet. Duncan Macmillan hat die Collage zusammengestellt. Im Zentrum stehen anklagende Gedichte und Erinnerungen der Amerikanerin Mary Borden, die im Ersten Weltkrieg ein Lazarett in Frankreich finanzierte, und Betrachtungen von Emma Goldman, Virginia Woolf, Simone de Beauvoir und Hannah Arendt. Dazu wird die von Selbstmorden bestimmte, authentische Geschichte der Familie Haber mit jener eines französischen Soldaten und einer Krankenschwester verwoben, die Jahrzehnte später Claires fiktive Vorgesetzte (Kate Duchêne) in Chicago ist.

Das ist ein bisschen viel für dieses kurze Kammerspiel. Was will es uns eigentlich sagen? Mitchell zeigt uns Geschichten von Opfern, vor allem aus der Perspektive von Frauen, aus jener Zeit, in der Massenvernichtungswaffen entwickelt wurden. Fritz Haber, ein jüdischer deutscher Patriot, hat nicht nur ein Verfahren für Kunstdünger entwickelt, das Nahrung für Milliarden Menschen schuf, sondern auch Giftgas, für den Ersten Weltkrieg, und schließlich noch Zyklon B, mit dem die Nazis später systematisch in den Vernichtungslagern mordeten. Habers Frau Clara, geborene Immerwahr (Ruth Marie Kröger), selbst Chemikerin, missbilligte die Kriegsforschungen ihres Mannes. Doch die sind für sie eine verbotene Zone. Nachdem Haber 1915 bei Ypern persönlich Chlorgas zum Einsatz gebrachte hatte, an dem tausende Soldaten starben, wählte Clara in Berlin-Dahlem den Freitod, so wie 1946 ihr Sohn Hermann. 1949 nahm sich ihre Enkelin Claire in Chicago das Leben – mit Zyanid. Sie hatte an Gegenmitteln zu Chemiewaffen geforscht. Zuvor sieht man sie im Zug. Ihre Tasche fällt runter, ein US-Soldat hilft ihr beim Aufheben von Gegenständen: darunter sind ein Foto von Clara und das Eiserne Kreuz vom Großvater. Der Amerikaner wird rabiat zu dieser vermeintlichen deutschen Feindin. Sie wird beschimpft, bedrängt, beinahe vergewaltigt.

Mitchells fiktive Verschränkung: Claires Vorgesetzte kannte einen Soldaten (Giorgio Spiegelfeld), der in Ypern im Gas starb, eine romantische Verbindung wird angedeutet. Die Frau betrachtet 1949 ein Foto des jungen Mannes, das führt zu Rückblenden, zum Grauen, zu unvorstellbaren Qualen. Schließlich sieht man, dass diese Frau in einer Toilette in Chicago die sterbende Claire in den Armen hält, wie als Pietà. Auch den Soldaten, der anfangs als Einrückender fotografiert wurde, sieht man im Todeskampf. Das sind erschütternde Szenen voll Pathos, überhöht durch traurige Poesie und Musik. Ja, Krieg ist furchtbar! Die Schauspieler empfindet man hier wie Schatten, sie sind in ihrem Agieren beschränkt. Wer mehr über das Schicksal dieser Figuren wissen will, muss wohl den Film sehen und die Bücher zum Film lesen.

Weitere Termine auf der Pernerinsel: 2., 3., 5., 7, 9. und 10. August

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.08.2014)

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