Salzburger Festspiele: Sokolovs Chopin-Lektionen

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Der russische Pianist Grigory Sokolovs zelebrierte seinen von Mazurken dominierten Abend nun auch im Großen Festspielhaus.

Freunde der Klaviermusik wussten, was sie erwartet: Grigory Sokolovs aktuelles Recital-Programm nach dem Klavierfestival Ruhr, Berlin und der Frankfurter Alten Oper nun in Salzburg. Stets schloss der „reine Chopin-Abend“ mit Schubert-Encores . . .

Doch selbst wer nur den Chopin-Block hören wollte, erlebte eine Lektion in Sachen detailverliebt-tiefschürfenden Klavierspiels. Schon für die h-Moll-Sonate nimmt sich Sokolov ungewöhnlich viel Zeit. Für brillantes Virtuosengehabe hat er keinen Sinn. Was viele Kollegen als effektvolle pianistische Kür betrachten, ist für ihn minutiös analysierbare kompositorische Kleinarbeit, die er entsprechend liebevoll vor seinen Hörern ausbreitet: Chopin, der Kontrapunktiker, wird lebendig, wenn in Sokolovs Drechslerarbeit kenntlich wird, wie sich etwa die einleitende abfallende Sechzehntelgeste wenige Takte später im Bass und nach oben weisend wiederfindet.

Jedes Detail beleuchtet das dynamisch und farblich sensationell differenzierte Spiel dieses Interpreten – und vergisst dabei nicht auf die hedonistische Qualität romantischen Klavierstils. Wenn das D-Dur-Thema sostenuto anhebt, steht die Zeit still, und ein Belcanto-Gesang erhebt sich über der sanft wogenden Triolenbegleitung. Das träumerische Element freilich hat bei Chopin, richtig verstanden, keine „bleibende Statt“.

Aus einer Auswahl von Mazurken macht Sokolov nach der Pause grüblerische Monologe. Tänzerisches blitzt nur kurz auf (etwa in der G-Dur-Mazurka, op. 50/1). Mehrheitlich aber gilt es der Beleuchtung kühn geschichteter Modulationen (etwa gegen Ende der cis-Moll-Stücke op. 30/4 – abwärtsfallend – und op. 50/3 – aufwärtsstrebend). Oft hält die Musik inne, verliert sich (am Ende von op. 30/2) in einen kargen Unisono-Schluss, erstirbt, als ob es keinen Zweck hätte, weiter zu meditieren.

Fortissimo im Flüsterton

Sokolovs gebündelte pianistische Energie, die in den leisesten Momenten geradezu eine Art von introvertiertem Fortissimo beschwört, das nach außen nur im Flüsterton vernehmbar wird, zwingt die Hörer zu voller Konzentration. Ein Werk wie Schuberts Es-Dur-Impromptu, das den Zugabenreigen eröffnete, nimmt sich gegen so viel scheinbar absichtlos improvisatorische Seelenbespiegelung geradezu klassizistisch klar aus. Und doch: Hier mündet das Geschehen unvorhersehbar in einen Moll-Schluss. Mit Grigory Sokolov lernt man, auch Vertrautes neu zu hören!

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.08.2014)

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