Festwochen für Alte Musik: Händels einsame Königin Beatrix

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Alessandro De Marchi plädiert mit Fantasie für Händels erste Oper, „Almira“; Regisseurin Jetske Mijnssen interessieren weniger Liebeskabalen als gebeugte Königinnen – mit einer Prise Yellowpress-Mitgefühl.

Viva Almira!“, ruft das Volk zu Trompeten und Pauken, „Almire regiere!“, reimt ihr bisheriger Vormund Consalvo salbungsvoll. Doch gleich die erste Amtshandlung der jungen Königin endet im Schock: Das Testament ihres Vaters bestimmt ein beliebiges Mitglied von Consalvos Familie zu ihrem Gemahl. Der verwitwete Alte ebenso wie sein Sohn Osman, der sich kurzerhand von seiner Verlobten Edilia lossagt, machen sich Hoffnungen. Almira hingegen liebt den nicht standesgemäßen Fernando, den sie gerade erst zu ihrem Sekretär ernannt hat.

Fatalerweise missdeutet sie auch noch eine unfertige Notiz Fernandos als Beweis seiner Untreue. Doch das ist erst der Anfang der Winkelzüge rund um Liebe und Macht . . .

Der Gusto am „Geilheitstrieb“

„Verdammter Geilheitstrieb!“, kann man mit Osman da nur noch ausrufen. In seinem Libretto „Der in Krohnen erlangte Glückswechsel, oder: Almira, Königin von Castilien“ hat Friedrich Christian Feustking in die auf Deutsch vorangetriebene Handlung einzelne, durch ihren Affektgehalt hervorragende italienische Arien eingestreut – oder besser: aus einer für Venedig entstandenen Vorlage unübersetzt übernommen. So entsprach es nämlich dem Hamburger Operngusto an der Wende vom 17. zum 18. Jahrhundert, den vor allem der Komponist Reinhard Keiser am erfolgreichsten zu bedienen wusste. Dass dieses Buch aber ausgerechnet dem blutjungen Georg Friedrich Händel zur Vertonung anvertraut wurde, der damals im Orchester des Theaters am Gänsemarkt spielte, war eine glückliche Fügung.

Eine Fügung, die vielleicht Johann Mattheson gar nicht so recht war, seinem Kollegen, Freund, Konkurrenten und einmal auch Gegner in einem berüchtigten, gottlob glimpflich ausgegangenen Duell. Jedenfalls behauptet er in seinen Erinnerungen, dass ihn Händel zurate gezogen und stark seiner helfenden Hand bedurft habe . . . Die Uraufführung am 8. Jänner 1705 wurde jedenfalls zum großen Erfolg, den nicht weniger als 19 Reprisen bestätigten.

Musikalisch verblüfft die Partitur mit der unbekümmert-lockeren Frische, den der sogenannte vermischte Geschmack nach Keisers Vorbild mit sich bringt, den Händel aber bereits mit beachtlichem Geschick anwendet: Die ganz großen Prunkstücke in Da-capo-Form mögen zwar noch fehlen, aber Nummern wie „Geloso tormento“ und „Kochet ihr Adern“, beide Almira anvertraut, lassen Gefühlstiefe und virtuosen Furor der späteren Meisterwerke mehr als nur erahnen. Neben affektbetonten italienischen, teilweise sehr knappen, abwechslungsreichen deutschen Arien und den durchgehenden Rezitativen sind es vor allem ausgedehnte französische Tänze, die besonderen Reiz ausüben und seinerzeit Gelegenheiten boten, mit Ausstattungszauber auch die Schaulustigen zu befriedigen.

In Innsbruck nun waren derlei Ergötzlichkeiten vor allem musikalisch garantiert: Alessandro De Marchi und die Academia Montis Regalis erfreuten und verblüfften teilweise mit ihrer breiten Palette von herbem Knarren (etwa schon in der Ouvertüre) bis zu zartem Erblühen, neuen Instrumentalfarben (Glockenspiel!) und fast rauschhaften Höhepunkten. Neben Rigaudons, Bourrées oder Menuets aber findet sich in dieser Nummer eins von Händels Werkverzeichnis bereits seine berühmte Sarabande – und so wie sich dieses Stück in verschiedenen Gestalten durch sein Schaffen verfolgen lässt, wird es gleichsam zu einem Leitmotiv des Abends: Denn dass die Oper nur in bearbeiteter Abschrift Telemanns überliefert ist, regt zu kreativem Umgang mit dem Material an.

Charakterstudie statt Kabale

Weg von den komplizierten Liebeskabalen und Verwicklungen bewegt sich diese Koproduktion der Innsbrucker Festwochen für Alte Musik mit der Hamburgischen Staatsoper hin zu einer in Herrschaftstristesse endenden Charakterstudie der Titelfigur, die Klara Ek klar, aber stets ausdrucksstark herb umflort interpretiert – das Zentrum einer von den Damen klar überragten Besetzung, darunter Mélissa Petit (Edilia) und Sara-Maria Saalmann (Tabarco).

Den Thron zu besteigen heißt auch eine fremde Hülle übergestülpt zu bekommen, immer aufs Neue eingeschnürt zu werden. Also springt Regisseurin Jetske Mijnssen mit Almira durch die Epochen, die auf der eher abstrakt-schlichten, Theater auf dem Theater suggerierenden Bühne in den Kostümen lebendig werden (Ausstattung: Ben Baur). Im stärksten Moment, in der Mitte des dreieinhalbstündigen Abends, während der eingelegten Traumarie „Lascia ch'io pianga“, die De Marchi am Cembalo dann im Nachspiel grandios knetet wie Lebkuchenteig, sieht Almira schon den nächsten Verkleidungszwang nahen. Nach Marie Antoinette, Upperclass-Lady und Elizabeth I. endet sie als einsame Königin Beatrix: und zur Reprise der Sarabande kein Prinz Claus in Sicht.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.08.2014)

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