Fierrabras muss weiter leiden

SALZBURGER FESTSPIELE 2014: FOTOPROBE ´FIERRABRAS´
SALZBURGER FESTSPIELE 2014: FOTOPROBE ´FIERRABRAS´(c) APA/BARBARA GINDL (BARBARA GINDL)
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Erstmals eine Schubert-Oper bei den Salzburger Festspielen: Unter Ingo Metzmacher klingt „Fierrabras“ eindringlich und packend. Doch der Regisseur Peter Stein versagt dem unterschätzten Werk seine szenische Hilfe.

Die Mauren haben den Trupp fränkischer Soldaten überwältigt und in einen Turm gesperrt. Inbrünstig besingen die Gefangenen ihr teures Vaterland – eine bewegende lyrische Melodie, in der Ouvertüre von den klangsatten Bläsern ausgekostet, nun vom Staatsopernchor mit schmachtendem Vibrato erfüllt. Doch Hilfe naht: Die Maurenprinzessin Florinda, die den Frankenritter Roland liebt, versorgt ihn und seine Leute mit Waffen; er plant einen Ausfall, um Hilfe zu holen. In einem großen Melodram der aus dem Fenster blickenden Florinda vernehmen wir, was geschieht: Von orchestralen Stürmen umtost, zu denen Ingo Metzmacher die Wiener Philharmoniker anstachelt, kündet die großartig-herbe Dorothea Röschmann mit hehrem Pathos vom Kampf und ihrem eigenen Schrecken, bis sie verzweifelt umsinkt. Und ganz ohne sichtbare Bühnenaktion muss die Rede von der fehlenden Dramatik in Schuberts Opern verstummen: der Höhepunkt eines Abends, dessen Erfolg aus der Musik erwuchs.
Peter Steins Anhänger könnten auf Arthur C. Danto verweisen: In einem Gedankenexperiment lässt der Kunstphilosoph („Die Verklärung des Gewöhnlichen“) den alten Picasso eine Krawatte blau bemalen – und hält dieser ein zweites Exemplar gegenüber, das von einem klecksenden Kind stammt. Obwohl äußerlich ununterscheidbar, bliebe das eine doch das Werk eines bedeutenden Künstlers, das zweite nur eine infantile Belanglosigkeit fernab der Kunstgeschichte. Soll heißen: Auch wenn „jeder“ für Franz Schuberts „Fierrabras“ diese paar Auftritte und Abgänge arrangieren und dazwischen die Protagonisten oratorienartig aufreihen oder ihrem szenischen Hausverstand hätte überlassen können, bedeutet es doch Kunst, wenn Peter Stein es macht – obwohl er selbst sich kokett mehr als „Techniker“ sehen mag denn als Künstler.

Jupiter Stein hat keine Blitze

Steins Kritiker jedoch könnten mäkeln, dass der Jupiter, dem alles erlaubt ist, dann und wann Blitze schleudern muss – schon um sicherzugehen, nicht doch einmal für einen Ochsen gehalten zu werden. Auf Regieblitze genialer Art wartete das Publikum diesmal nämlich vergebens, allenfalls ein schwaches Wetterleuchten war am Theaterhorizont auszunehmen, und auch das nur selten. Dafür gab's aber mehr als nur ein paar Prisen Häme gegen das wehrlose Werk.
Bei Klassikern wie Verdis „Don Carlo“ letzten Sommer arbeitete Stein auf „altmodische“, aber zeitlos gültige Art Beziehungsnuancen heraus; beim von Schiller fraglos weit entfernten „Fierrabras“-Libretto Joseph Kupelwiesers (es ist nicht schlechter als viele andere, nur leider nicht auf Italienisch) streckt er offenbar mit Bedacht seine Waffen: Wenn Ulrich Schreiber in seinem „Opernführer für Fortgeschrittene“ Schuberts glücklose Bühnenwerke im Kapitel „Die romantische Nicht-Oper“ abhandelt, liefert Stein nun die dazu passende „romantische Nicht-Inszenierung“ dieser Ritterromanze aus der Zeit Karls des Großen: Zwei Paare sind darin zuletzt vereint, deren Liebe über Standes- bzw. politische und konfessionelle Schranken hinausgeht; die Titelfigur aber muss Verzicht üben.
Dabei war die Idee so übel nicht, das Bühnenbild fast nur mit gemalten Hängern im Stil alter Kupferstiche zu gestalten: Ferdinand Wögerbauer schuf damit einen historisch anmutenden und doch reizvoll gebrochenen szenischen Rahmen, der an Papiertheater in Bürgerhäusern des 19. Jahrhunderts ebenso erinnern mochte wie an die abstrahierte Bildkraft aktueller Graphic Novels.

Tatbestand: Unterlassene Hilfeleistung


Wenn nur die Personen nicht genauso papieren-blass blieben in ihren stets sauberen weißen Gewändern und silbernen Kettenhemden für die christlichen Franken, schwarzen Turbanen und Mänteln für die muslimischen Mauren (Kostüme: Annamaria Heinreich)! Dass Michael Schade als stimmlich etwas hart auftrumpfender, edler Maurenprinz Fierrabras mit gezücktem Krummschwert gegen den Impuls kämpft, den Konkurrenten zu töten und die schöne Frankenprinzessin Emma für sich zu gewinnen, stellt den Gipfel an Inszenierung dar: Ansonsten enthält Stein sich jeder deutenden Zutat – sieht man davon ab, dass er das zugegeben aufgesetzte „lieto fine“ nicht ironisiert, sondern durchs Bühnenbild (rotes Herz inmitten barocker Wolken) ins Lächerliche zieht. Aus Schuberts Perspektive grenzt das an den Tatbestand der unterlassenen Hilfeleistung. Einer solchen kann man die Sänger und Musiker nicht zeihen, im Gegenteil: Metzmacher modelliert die Partitur mit den fast durchwegs konturenscharfen Philharmonikern zwischen modulatorisch aufgerissenen Seelenabgründen, mehr liedhaften als ariosen Formen und der geschilderten Dramatik mit Trompetensignalen und Bühnenmusik-Trauermärschen nachdrücklich. Neben Markus Werba als tapferem Roland und Georg Zeppenfeld als schlank und doch würdevoll tönendem Karl erfreuten vor allem der Jubelklang von Julia Kleiter (Emma) und die differenziert strahlenden, bis zu heldischem Aplomb reichenden Phrasen von Benjamin Bernheim (Eginhard): Das starke Plädoyer für dieses unterschätzte Stück ist in Salzburg also nur zu hören.

Radio/TV: Auf Ö1: heute, Samstag, 19.30 Uhr; auf Classica: 25. 8.; auf 3sat: 4. 10. jeweils 20.15.

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