Mutter geigt für ihren toten Mentor

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Geigerin Anne-Sophie Mutter spielte in Salzburg zwei österreichische Erstaufführungen: eine „La Follia“ von Penderecki, einen Previn voller Pointen.

Muss man sich rechtfertigen, wenn man tonal komponiert, gar Musik schreibt, die angenehm zu hören ist? Manchmal hat es den Anschein. Vor allem, wenn Komponisten, die sich erst einmal der Avantgarde verpflichtet fühlten, mittlerweile traditionellere Wege gehen. Wie Krzysztof Penderecki. Jahrzehnte habe er verbracht, um nach neuen Klängen zu suchen, sich später mit Formen der Vergangenheit intensiv auseinander gesetzt; sein gegenwärtiges Schaffen sei daraus eine Synthese, lässt er alle wissen, die seine Entwicklung nicht goutieren wollen.

Ohne diese hätte er wohl ein Stück für Violine solo wie die Anne-Sophie Mutter gewidmeten Variationen über das seit der Barockzeit bekannte „La Follia“-Thema nicht geschrieben. Es ist ein selbst für Ausnahmevirtuosen halsbrecherisches Stück, in dem es von Doppelgriffen und Arpeggien, Flageoletts oder Pizzicati wimmelt, die freilich stets im Dienst der abwechslungsreichen Auseinandersetzung mit der historischen Vorlage stehen; ein Bravourstück mit Gehalt, voll irisierender Klangfarben. Vor allem wenn es mit einer solchen Virtuosität, Stilsicherheit und Freude an selbstverständlicher Brillanz präsentiert wird, wie es Anne-Sophie Mutter im wahrsten Wortsinn vorgeigte.

Ein Previn-Stück voller Strauss. Das war nicht der einzige zeitgenössische Programmpunkt dieses gefeierten Vormittags im Großen Festspielhaus. Schließlich hatte Mutter noch eine zweite österreichische Erstaufführung – ebenfalls ein Werk von 2013 – mitgebracht: die dreisätzige Sonate für Violine und Klavier Nr. 2 von André Previn. Ein ideal in dieses musikalische Gedenkjahr passendes Stück: Neben Anklängen an den Jazz und gehobene amerikanische Unterhaltungsmusik finden sich darin auch Passagen, die an das opulente Melos eines Richard Strauss denken lassen. Kein Zufall, zählt doch Previn zu den bedeutendsten Interpreten dieses Komponisten.

Previn hat dies aber nur als Inspiration für sein immer wieder mit rhythmischen Überraschungen gespicktes, betont eigenständiges Opus genommen, das neben einem exzellenten Geiger auch nach einem höchst musikantischen Begleiter am Klavier verlangt, der bestens über amerikanische Musikkultur Bescheid wissen muss. Wie der übrigens auch als Spezialist für die historisch informierte Aufführungspraxis ausgewiesene, aus Philadelphia stammende Lambert Orkis. Er ließ sich denn auch nicht entgehen, die zahlreichen Pointen, die Previns zuweilen augenzwinkernde Partitur für ihn bereithält, auszukosten – seine überzeugendste Leistung bei dieser Matinee.

Mutter denkt an ihren Mentor. Denn für die übrigen Programmpunkte – Mozarts kostbare e-Moll-Sonate KV 304, vor allem aber Beethovens „Kreutzer-Sonate“ Opus 47 – hätte man sich einen mehr mitgestaltenden als assistierenden Partner am Steinway gewünscht. Zwar musizieren die Mutter und Orkis seit einem Vierteljahrhundert zusammen, aber Orkis bleibt meist zu sehr im Hintergrund, als seinen Akzenten in Phrasierung und Artikulation Nachdruck zu verliehen. Diesmal hatte er vornehmlich beim finalen Beethoven auch technisch nicht seinen besten Tag; das wurde aber durch die nachtwandlerisch sichere Übereinstimmung der beiden mehr als wettgemacht.

Apropos Vierteljahrhundert: Nicht nur Anne-Sophie Mutter und ihr Partner musizieren ein Vierteljahrhundert, auch zwischen der Entstehung von Mozarts e-Moll-Sonate und der von Mutter mit aller konzertanter Allüre meisterhaft bewältigten „Kreutzer-Sonate“ liegen 25 Jahre. So lange liegt auch Herbert von Karajans Tod zurück. Anlass für die Mutter, dieses Festspielrecital ausdrücklich ihrem großen Mentor zu widmen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.08.2014)

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