„Charodeyka“: Die Zauberin und ihre Rätsel

FOTOPROBE THEATER AN DER WIEN: ´CHARODEYKA (DIE ZAUBERIN)´
FOTOPROBE THEATER AN DER WIEN: ´CHARODEYKA (DIE ZAUBERIN)´(c) APA/THEATER AN DER WIEN/MONIKA R (MONIKA RITTERSHAUS)
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Tschaikowskys „Charodeyka“, erstmals in Österreich, inszeniert von Christof Loy: löblicher Einsatz für ein nicht ganz ohne Grund selten gespieltes Werk.

Von drauß' vom Walde kommt sie her, erscheint in einer symbolhaften Eröffnungsszene zwischen den Bäumen, die im Hintergrund in eine karge Bühnenwelt aus glatt geschmirgelten Holzwänden hereinlugen, die Christian Schmidt gebaut hat – und alles wird anders. Als Engel der Lebensfreude, als zarte Trösterin, als jedermanns liebste Schwester holt sie die drinnen versammelten Herren von heute aus ihrer düsteren Schwermut. „Kuma“ (Base) rufen sie die junge Witwe kumpelhaft und lassen sich von ihr als Wirtin zu neuer Vitalität erwecken. In den Augen der eifersüchtigen Fürstin aber wandelt sie sich zur Charodeyka, zur bösen Zauberin, deren Verführungskünsten der Fürst zu erliegen droht: Tödliches Unheil nimmt seinen Lauf. Gegen Ende erhebt sich die unschuldig Vergiftete und schreitet ins Nichts, verschwindet hinter einer Tür, die sich im schwarz-weißen Wald auftut und hinter ihr schließt: ein mystisches Echo auf den Beginn. Dabei galt ihre wahre Liebe dem Sohn des Fürsten, den der rasende Vater schließlich auch noch ersticht: Tschaikowsky hat zu dieser Schlussszene, in der innere und äußere Stürme toben, den vermutlich erschreckendsten, wildesten Orchestertumult seines Schaffens entfacht.

Für einen großen, dauerhaften Erfolg wollte das schon bei der Uraufführung 1887 in St. Petersburg nicht reichen – trotz oder gerade wegen der komplexen und wechselvollen musikalischen Schönheiten, die über manche Weitschweifigkeit und Schwächen des Librettos nicht hinwegtäuschen können. Die „Zauberin“, drei Jahre vor „Pique Dame“ entstanden, blieb Tschaikowskys Schmerzenskind unter seinen Opern. Daran wird wohl auch die aktuelle, höflich akklamierte Produktion nichts ändern können, bei der Mikhail Tatarnikov am Pult des ORF Radio-Symphonieorchesters steht. Er konnte zumindest in der Premiere noch nicht durchwegs jene dramatische Prägnanz und emotionale Tiefenschärfe erzielen, die das Unternehmen brauchen würde. Immerhin setzt das Theater an der Wien damit sein Engagement für Raritäten abseits des herkömmlichen Repertoires fort – als Auftakt einer Saison, in der Mozarts „Nozze di Figaro“ die einzige populäre Ausnahme darstellt.

Steht sie für ungezähmte Natur?

Vermutlich waren es gerade die von der Titelfigur aufgeworfenen Fragen, die Regisseur Christof Loy an der „Zauberin“ faszinierten. Steht sie für ein Stück ungezähmte, erotisch aufflackernde Natur? Dazu inszeniert er sie zu kühl, zu keusch. Ist sie ein verklemmter Teenager? Das schon eher. Hat sie etwa im ersten Akt ihr berührendes Loblied auf die Weite und Freiheit der russischen Landschaft beendet, zu dem das in sich kreisende Holzbläsermotiv der Einleitung wiederkehrt, wandelt sie sich sofort wieder zurück in ein verlegenes Mädchen, das bald darauf in pubertäre Schwärmerei für den Fürstensohn Juri ausbricht... Dergleichen subtile szenische Zwischentöne liegen der jungen Asmik Grigorian noch mehr als die musikalischen: Charaktervoller, wenn auch manchmal etwas einförmig kräftiger Gesang dominiert an diesem Abend– nicht nur in ihrem Fall, sondern zumindest auch bei den tenoralen Höhenflügen von Maxim Askenov (Juri).

Klare Antworten aber verweigert Loy nicht nur, sondern versucht sogar, einen wichtigen Punkt der Handlung psychologisierend umzudeuten: Ist sie mit dem Fürsten allein, dem Vladislav Sulimsky kernig-virile Präsenz verleiht, dann bietet sie sich diesem dar – er aber hält sich zurück. Erklärt sie später Juri im hymnischen dritten Akt ihre Liebe, wirkt ihre Beteuerung merkwürdig manipulativ: Rätsel eines bewegten Herzens.

Aus einer starren moralischen Festung heraus feuert hingegen Vladimir Ognovenko als Schreiber Mamyrow mit mächtigem Bass auf das vermeintliche Sodom und Gomorra der Zauberin – ein unheimlicher Apparatschik. Agnes Zwierko, Fürstin und Übermutter im Negligé und mit dunkel dräuendem Mezzosopran, hört auf ihn ebenso wie auf die düsteren Einflüsterungen ihrer Kammerfrau (Hanna Schwarz) und bezieht Gift vom Zauberer Kudma, den Martin Winkler zu einem grotesken Kabinettstück macht: die Spitze des großen übrigen Ensembles, das der Arnold-Schoenberg-Chor auf gewohnt sonore Weise komplettierte.

Weitere Aufführungen am 16., 19., 21., 23. und 26.9., 19Uhr. Auf Ö1: 20.9., 19.30 Uhr.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.09.2014)

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