Schönbrunn: Netrebko am Jahrmarkt der Eitelkeiten

(c) Reuters (Herwig Prammer)
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Anna Netrebko, Rolando Villazón und Plácido Domingo beglückten vor dem Schloss Schönbrunn 12.000 Fans. Im Fernsehen hörte und sah man freilich besser.

Bist du deppert.“ Ihre noble Abendgarderobe war für die Dame mittleren Alters kein Hindernis, den Sachverhalt in volkstümlich-lakonischem Ton auf den Punkt zu bringen. Eigentlich auf Anna Netrebko gemünzt, als diese – trotz oder gerade wegen ihrer Schwangerschaft ein Elementarereignis an Temperament und guter Laune – im feuerroten Kleid erstmals auf der Bühne erschien, traf das Statement viele Aspekte dieses Open-Air-Konzerts, pardon: Events vor Schloss Schönbrunn, bei dem beileibe nicht nur Erscheinungsbild und Sprache aufeinander prallten. Kunst und Kommerz, Anspruch und Unbedarftheit, Wunschtraum und Realität: Hier war nichts rein, sondern kam alles zu allem. Oder blieb weit entfernt: Denn wirklich live erlebt haben ihre adorierte Superstar-Troika Netrebko–Villazón–Domingo von den zwölftausend begeisterten Fans wohl nur jene, die finanzkräftig genug waren, sich VIP-Packages mit entsprechenden Backstage-Privilegien zu sichern: Kostenpunkt bis nahe 1000 Euro. Bescheidenere gaben mit dem Mut der Verzweiflung gleich schriftlich auf ihrem „Suche Karte“-Schild auch ihr Budget preis: 250 Euro war da einer offenbar zu zahlen bereit, nur um „dabei“ zu sein.

Aber wer ist streng genommen dabei? Auch von teuren Plätzen war die Musik natürlich nur elektronisch verstärkt bzw. grell-blechern verzerrt vernehmbar. Und wer nur ein günstigeres Tickets sein eigen nannte, war auf die Videowalls angewiesen, um per Feldstecher einen näheren Blick auf die Ausführenden werfen zu können. War ein Stück verklungen, klinkte sich die kurios-brutale Regie sofort aus – zugunsten eines animierten Screensavers, der die Sängernamen pompös umherziehen ließ. Man verstand: Die Namen sind hier das Wichtigste.

Der Live-Mehrwert verpufft im Nu

Vor Ort war man wesentlich schlechter dran als die Zuschauer der zeitversetzten ORF-Übertragung. Denn der angebliche Mehrwert, live dabei sein zu können, verpufft im Nu, wenn der Wind mit dem eher bescheidenen Ausstoß der Tonanlage seine eigenen Pläne verwirklicht. Und wo quengelnde Kinder ihr Eis fordern, Erwachsene sich ungeniert laut unterhalten und die Seitenblicke-Gesellschaft sich selbst ins Rampenlicht zu rücken sucht, konnte kein besonderes Flair aufkommen. Das heißt: manchmal doch. Wenn sich nämlich die Musik über alle Limitationen erhob. Etwa gleich, als die bang-flehentlich erwartete Netrebko bei ihrer ersten Nummer als Kálmans Csárdásfürstin so souverän über die Bühne wirbelte, als wäre sie nie anderes gewesen als Operettendiva, und mit aufregend nachgedunkelten, anfangs etwas schweren, aber dann recht wendigen Klängen Siebenbürgen beschwor oder bei Arditis „Bacio“ kokett herumpoussierte.

Die Herren hatten es da etwas schwerer: Wenn Winterstürme dem Wonnemond weichen sollen, tönt es bei Domingo mittlerweile in erster Linie herbstlich und erfordert immer noch viel mehr Konsonanten, als ihm lieb ist. Beim Freundschaftsduett aus „Don Carlo“ verdingte er sich neben Rolando Villazóns ungestümem Titelhelden als Posa – und hatte trotz Noten prompt Mühe, nicht in den altbekannten Tenorpart zu wechseln. Doch leuchten im Gesang dieses Ausnahmesängers auch heute noch dort und da jene goldenen Töne auf, für die ihn sein Publikum seit Jahrzehnten liebt. Villazón ist nach Krise und Pause hörbar genesen – zu gut vielleicht, da er wie ehedem dazu neigt, zuviel zu geben, mehr Druck und Impetus zu investieren, als ihm gut täte und nötig wäre. Brillanter Techniker ist er eben nach wie vor keiner: Bei „Dein ist mein ganzes Herz“ kann er nur mit persönlichem, weniger mit stimmlichem Charme punkten. Auf eine nur annähernd so liebkosend-weiche, innige Phrasierung, mit der gerade bei dieser Nummer Giuseppe di Stefano betörte, hofft man vergebens. Dafür bescherten Domingo und Netrebko bei „Lippen schweigen“ aus Lehárs „Lustiger Witwe“ ein paar zauberhafte halbszenische Minuten.

Gefühlvoll und schmissig: Das RSO

Ein Snob, wer über das Programm zwischen Opernrarität und Hardcore-Wunschkonzert bis hin zu John Denver per se die Nase rümpft: Die ganz Großen sind es, die im Idealfall Stroh zu Gold spinnen, selbst Schnulzen zu hoher Kunst adeln können. Doch da stieß man in Schönbrunn an deutliche Grenzen – weil es den Solisten an penibler Vorbereitung gebrach: Wer hierzulande Rudolf Sieczynskis „Wien, du Stadt meiner Träume“ überzeugend anstimmen will, sollte nicht ängstlich an den Textmonitoren kleben wie die beiden Herren oder sich bloß mit Müh und Not „zuwipassen“ wie Netrebko. Keine Zeit, kein Geld? Apropos Geld: Hätte der ORF mehr Produkte auf dem Niveau des Radio Symphonieorchesters anzubieten, um den Sender wäre es bestens bestellt. Unter seinem streitbaren Chefdirigenten Bertrand de Billy zog sich das in jedem Stil heimische RSO nicht bloß mit Anstand, sondern fabelhaft aus der Affäre: gefühlvolle Soli, aufmerksame Begleitung, leichtfüßig-präziser Schmiss nicht nur, aber besonders bei Suppés „Leichter Kavallerie“. Haben alle ORF-Granden auch zugehört? Bei den Zugaben zuletzt johlende Begeisterung über das „Traviata“-Trinklied: Bist du deppert.

ERFOLGREICHES TRIO

Netrebko, Domingo, Villazón:
Nach dem Berliner Waldbühnenkonzert während der Fußball-WM 2006 trat die Nachfolge-Formation der „3 Tenöre“ nun
zur EM im Ehrenhof des Schlosses Schönbrunn auf. CD- und DVD-Veröffentlichung folgen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.06.2008)

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