Neujahrskonzert: Überrumpelung durch die Subtilität

Israeli-Argentinian conductor Daniel Barenboim conducts the Vienna Philharmonic orchestra
Israeli-Argentinian conductor Daniel Barenboim conducts the Vienna Philharmonic orchestra(c) EPA (HERBERT NEUBAUER)
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Daniel Barenboim als Walzer-Debütant führte die Philharmoniker auf klingenden Spuren zurück in die wienerische Musizier-Tradition, die mit Schlamperei gar nichts zu tun hat.

Wie war das noch mit den Wiener Musikern, der Tradition und der Schlamperei? Gustav Mahler hat sich dazu einmal unmissverständlich geäußert, und zwar im Hinblick auf immer aufs Neue reproduzierte Ungenauigkeiten. Nun sind hierzulande gerade Aufführungen von Wiener Walzern besonders gefährdet, in der selbstgefälligen Klang-Attitüde des „wir wissen ja, wie's geht“ zu ertrinken. In diesem Sinne war das diesjährige Neujahrskonzert der Philharmoniker gewiss das ungewöhnlichste seit langem. Denn es stand erstmals unter der Leitung von Daniel Barenboim, und der hatte ganz offenkundig mehr und besessener probiert als die meisten seiner Vorgänger. 2009 erklangen die am feinsten einstudierten, am akkuratesten modellierten Walzer- und Polka-Interpretationen der jüngeren philharmonischen Geschichte.

Wien und die Genauigkeit

So viel akribischer Vorbereitungsgeist steht, scheint's, quer zum wienerischen Selbstverständnis, demzufolge über gewisse Grundwahrheiten ohnehin nicht debattiert werden darf. Andererseits lehrt ein Blick in die musikalische Wiener Historie, dass gerade dem Gegenteil, nämlich der fanatischen Einstudierungs- und Detailarbeit des Ahnvaters Johann Strauß, der mit seiner Kapelle den Grundstein zur späteren, quasi industriellen Vermarktungsarbeit seiner Söhne Johann, Joseph und Eduard legte, das Geheimnis des weltweiten Erfolgs lag.

Zeitzeugen vom Format eines Hector Berlioz oder Richard Wagner berichten vor allem einmal von der atemberaubenden Qualität des Orchesterspiels, das sie bei Wien-Besuchen bei Strauß – und nicht etwa in der Oper bestaunen durften. Die Wiener Musiker waren die besten, und das hieß vor allem einmal: die präzisesten der Welt. So viel zur Schlamperei. Das Gefühl, das unvergleichliche Wissen um anschmiegsame Modulation von Klang und Rhythmus war die Zuwaag', die man gern hinnahm. Und mag es auch immer auf die Zwischentöne ankommen, auf das, was zwischen den Zeilen mitschwingt, so ist es doch auch diesbezüglich vielleicht nicht ganz unwesentlich, ob es fein säuberlich gezogene Linien sind, innerhalb derer sich das Unsagbare ereignet.

Johann Strauß Vater hat, wie später die Söhne, gerade darauf Wert gelegt. Insofern darf das Engagement eines besonders akribischen Dirigenten für das Neujahrskonzert durchaus als philharmonische Übung in Traditions-Wiederauffrischung verstanden werden. Man wird vielleicht den Ursprüngen von Spielgewohnheiten gerecht, wenn man sie hie und da hinterfragt.

Wer das klingende Ergebnis der Einstudierungs-Arbeit hört, die Barenboim für den 1. Jänner 2009 mit den Philharmonikern geleistet hat, wird wohl nicht umhin können, zuzugeben, dass all die gebotene Akkuratesse mit einer Sensibilität verknüpft war, die dem notorischen Dreivierteltakt-Sentiment keineswegs widersprach. Nur dass vieles feiner, subtiler herauskam als gewohnt. Die Auftakte im „Zigeunerbaron“-Einzugsmarsch mit voller, saftiger Kraftentfaltung in den Bässen – und die Melodie dann bewusst nicht im ruppigen Fortissimo, sondern sogleich ein wenig zurückgenommen: statt plumper Überrumpelung ein rhetorischer Kunstgriff.

Dann die vielfältigen, nicht nur dynamischen Nuancierungen in den Walzern, den „Rosen aus dem Süden“ und den „Sphärenklängen“ zumal: der Zugriff der Begleitstimmen, die Phrasierungsart der Melodie ändern sich in rascher Folge mit dem Charakter der Musik, dem sich auch das Tempo sensibel anpasst – fließend oder in jähem Wechsel, je nachdem.

Koloristische Finessen

Wer dem entgegenhält, hier werde dem tänzerischen Urgrund dieser Musik zuwidergehandelt, übersieht, dass vieles in Strauß'scher Musik, jener der zweiten Generation zumal, die ja den Löwenanteil im Neujahrs-Programm ausmacht, konzertant angelegt ist, symphonisch, wenn man so will, und vom Publikum der Strauß-Kapelle seinerzeit auch entsprechend aufgenommen wurde.

Miniaturen wie die virtuose chromatische Girlande, die Cello und Fagott in der „Alexandrinen“-Polka zu Boden gleiten lassen, sind Zeugen dieses kompositorischen Selbstverständnisses, das in weniger feinsinniger Darstellung seinen Charme gar nicht entfalten könnte. Ganz abgesehen von den koloristischen Finessen in Hellmesberger juniors spanischer Walzer-Impression, die erstmals zu Neujahr erklang, als kleine, charmante Hommage an eine weitere Wiener Musikerdynastie – vom Orchester mit erlesenem Geschmack hingetupft.

Apropos Geschmack: Die Weichheit, Behutsamkeit der philharmonischen Spielweise, die hier erreicht wurde, setzte sich an diesem Vormittag freilich bis hinein in die intensivsten Steigerung von Stücken wie der „Zigeunerbaron“-Ouvertüre fort. Auch Beckenschläge, die Fortissimi krönen, haben manchmal Stil. Diesmal hatten sie – bezeichnender Weise blieb das Konzert heuer auch frei von jeglichem Zirkus-Klamauk. Und wenn erstmals auch Musik des Jahresregenten Joseph Haydn im Neujahrskonzert erklang, dann geschah es mit hintergründigem Witz: Barenboim und die Philharmoniker spielten das Finale der „Abschiedssymphonie“ inklusive Exodus sämtlicher Musiker mit dezentem Humor aus – ein kleines theatralisches Vergnügen zum Ausklang eines Konzerts, das mit den Mitteln der Akkuratesse zu ähnlich gelösten, stimmigen Ergebnissen gelangte wie im Vorjahr Georges Prêtre auf seine unwiderstehlich improvisatorische Art. Dass Prêtre zu seinem 85er 2010 wiederkehrt, ist erfreulich. Einen ideale Kandidaten für 2011 gäbe es dann auch schon: Barenboim, dessen Neujahrswunsch heuer dem „Frieden für die Welt und menschlicher Gerechtigkeit im Nahen Osten“ galt. Prosit.

Prêtre folgt Barenboim

2010 wird das Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker zum zweiten Mal vom französischen Dirigenten Georges Prêtre (84) geleitet werden. Er folgt damit auf Daniel Barenboim (66), der am Donnerstag das Konzert 2009 im Wiener Musikverein leitete.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.01.2009)

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