Wien Modern: Aus Liebe zum Dreiviertelton

Wege zur Musik - Georg Friedrich Haas
Wege zur Musik - Georg Friedrich Haas(c) ORF
  • Drucken

Georg Friedrich Haas im Porträt: kleine Besetzung, kleine Intervalle, große Emotionen.

„Lauter alte Musik“, so kündigte es der Komponist persönlich an: Georg Friedrich Haas, Träger des Großen Österreichischen Staatspreises und heuer eine Zentralfigur bei Wien Modern, ließ es sich nicht nehmen, den eigenen Werken der Jahre 1990 bis 2001 beim Porträtkonzert am Donnerstag im Mozartsaal jeweils einige Worte vorauszuschicken – und gut so. Denn diese Einführungen trugen wesentlich zum besonderen, intimen Reiz des Abends bei, den glänzende Solisten des Klangforums in Besetzungen vom Solo bis zum Quartett bestritten. Zu vier Händen etwa an jenem Pianino, das zwar statt der herkömmlichen 88 über 97 Tasten verfügt, damit aber nur eine einzige Oktave umspannt: „flow and friction“ ist für ein solch rares Sechzehnteltonklavier geschrieben.

Verblüffend, wie sich der von Haas so geliebte Dreivierteltonschritt mit seiner Platzierung gehörphysiologisch ändert, noch mehr aber, wie sich auf dem geringen Tonumfang ein veritabler Stratosphärensturz in jammernden Spiralbewegungen simulieren lässt.


Bedürfnis nach Schwebung. Dass ausgerechnet dieser Dreiviertelton von mehreren unabhängigen Kulturen (etwa in Istrien, Afghanistan) zum Parallelgesang verwendet wurde, nicht aber die angeblich naturgegebenen Intervalle des Dreiklangs, habe bei ihm einst einen kreativen Schock verursacht, sagt Haas. Seine Konsequenz: „Es gibt kein menschliches Bedürfnis nach Konsonanz, wohl aber eines nach Schwebung.“ Auf diesem Prinzip basiert auch das große Violinsolostück „de terrae fine“. 2000 wegen Schwarz-Blau nach Irland gezogen, konnte Haas auf der Halbinsel Kerry zwar in Ruhe arbeiten, kam aber gleich im nächsten Pub vom Regen in die Traufe. „Austria? Ah, Haider!“, hieß es da plötzlich mit anerkennendem Lächeln: „How many immigrants do you have?“ Einer der Gründe, warum er wieder nach Österreich zurückgekehrt sei. Lamentable Mikrotonmelodien, Flageolettgespinste, jaulend hochgezogene Glissandi: ein beklemmendes, nagendes Protokoll von Leid und Einsamkeit, das Gunde Jäch-Micko mit Präzision und Versenkung vortrug.

Danach fungierte „... wie ein Nachtstück“ (1990) beinah als emotionaler Balsam: Sein letztes serielles Werk, basierend auf einer Folge von sechs Zahlen, die er längst vergessen hätte, nicht aber deren Bedeutung: „Es war die Telefonnummer meiner damaligen Geliebten.“ Drei im Raum verteilte Akkordeons senden einander zärtliche Floskeln zu, Luftgeräusche simulieren Atem, Borduntöne festen Grund. Trotz Zitaten aus der Tonalität abstrakter dagegen „... Schatten ... durch unausdenkliche Wälder“, bei dem sich die Klaviere in echte, mit Filzschlägeln gespielte Schlaginstrumente verwandeln.

Den Haas-Schwerpunkt setzt Wien Modern schon mit zwei österreichischen Erstaufführungen fort: Sonntagabend sind im Konzerthaus seine „limited approximations“ zu hören, ein Konzert für sechs Klaviere im Zwölfteltonabstand; am Dienstag im Musikverein dann sein „concerto grosso Nr. 1“ für vier Alphörner und Orchester; am 10. und 11. November spielt das Arditti Quartett fast alle seine Streichquartette, darunter das dritte in völliger Dunkelheit.

Die Schiene „on screen“ hat den Komponisten, Heavy-Metal-Fan und TV-Junkie Bernhard Gander zur Sitcom-Oper „Das Leben am Rande der Milchstraße“ inspiriert: Ja, die Verbindung des Fernseh-Komödiengenres mit modernem Musiktheater, eingeteilt in klassische Episoden von 25 Minuten und wie in den US-Produktionsstudios live vor Publikum aufgeführt. Nur noch heute, Samstag, sind die in Bregenz uraufgeführten drei Folgen der ersten Staffel im Berio-Saal des Konzerthauses zu erleben; weiter geht es am 7. und 8. November mit der brandneuen Staffel zwei. Schließlich steigt am 21. November das Finale sowohl der Serie als auch von Wien Modern überhaupt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.11.2014)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.