Matthias Goerne setzt mit Schumann Maßstäbe

Der Bariton und gefeierte Liedsänger Matthias Goerne
Der Bariton und gefeierte Liedsänger Matthias GoerneClemens Fabry
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Ein Liedsänger auf der Höhe seiner Kunst: Der deutsche Bartion begeisterte im Wiener Konzerthaus Mit Schumanns "Dichterliebe" und "Kerner-Liedern".

War je ein Mensch einsamer? Mit letzter Kraft, scheint es, tastet sich die Stimme vor. Unbegleitet, das Klavier hat zu schweigen. Der Protagonist scheint in seiner tiefen Verzweiflung fast selbst erstaunt, überhaupt noch eine Äußerung hervorbringen zu können. Schon die seufzend gleich wieder zurückfallende kleine Sekunde wirkt wie eine schier übermenschliche Distanz. „Ich hab im Traum geweinet.“ Erst, nachdem die fünf Wörter aus dem Mund Matthias Goernes verklungen sind, darf Martin Helmchen mit fünf kurzen Akkorden antworten, eine hilflose Geste, und dem Erzähler ist ja auch nicht zu helfen. Das ist von Schumann so asketisch gesetzt, wie es in dieser Reduktion und Radikalität– freilich mit ganz anderen Mitteln – erst mehr als eineinhalb Jahrhunderte später von Anton Webern wieder erreicht wird. Und es ist von Goerne und Helmchen mit einer derartigen Eindringlichkeit vorgebracht, dass man unweigerliche denkt: Und wäre es nur für dieses eine Lied gewesen, es hätte jeden Weg ins Wiener Konzerthaus gelohnt.

Das ist natürlich Unsinn, denn bei einem Zyklus von einer derartigen Geschlossenheit, wie ihn Schumanns „Dichterliebe“ auf Texte von Heinrich Heine darstellt, erschließt sich jedes Lied zur Gänze erst durch alles, was ihm vorausgeht und nachfolgt. Und zwei Jahrzehnte, nachdem Goerne den Zyklus erstmals aufgenommen hat, hat der deutsche Bariton das Werk bis in seinen letzten Winkel durchdrungen, so dass man fast Angst bekommen mag, wie er es wohl in weiteren 20 Jahren singen wird, denn eine Steigerung an Intensität an emotionaler Wucht ist schwer vorstellbar. Das betrifft weniger das so sparsam wie effektvoll eingesetzte Forte („Ich grolle nicht“), als vielmehr ein alle Facetten enttäuschter Liebe auslotendes Piano und Pianissimo. Selbst in dynamischen Regionen, wo man bei manch anderem Sänger das Wegbrechen der Stimme befürchten müsste, ist Goernes Bariton so sicher wie energiereich, eine Paarung von technischer Souveränität und Expressivität.

Von wegen "wunderschöner Monat Mai"

Wie nebenbei enttarnt er dabei instinktiv Schumanns reichlich einkomponierte Doppelbödigkeiten, das beginnt schon im „wunderschönen Monat Mai“, der natürlich gar nicht so wunderschön ist, was spätestens in der letzten Zeile spürbar wird, wenn Goerne die Stimme zu den Worten „mein Sehnen und Verlangen“ bewusst eng macht. Aufs natürlichlichste gestalten sich die Übergänge, die eine Sammlung von Liedern ja erst zum Zyklus machen. Zweifellos eine Darstellung der „Dichterliebe“, die Maßstäbe setzt. Gesanglich.

Denn die farbliche Wandelbarkeit von Goernes Stimme fand im pianistischen Wirken von Martin Helmchen keine hundertprozentige Entsprechung. Der Pianist ist dort stark, wo Schumanns Klaviersatz scharfe Artikulation, Prägnanz und Strahlkraft verlangt, wenn er etwa am Ende des textlich vielleicht bekanntesten Liedes „Ein Jüngling liebt ein Mädchen“ das Herz in hämmerndem Dur entzweibrechen lässt. Doch es hämmert und gleißt auch dort, wo weichere Töne gefragt wären. Sowohl bei der „Dichterliebe“, aber in noch stärkerem Ausmaß bei den selten zu hörenden „Kerner-Liedern“ Opus 35 erweckt Helmchen bisweilen den Eindruck, er wähne sich im Solopart eines Klavierkonzerts. Dennoch: Es ist zwar die erste Zusammenarbeit der beiden Künstler, aber das merkt man kaum, die Verständigung klappt bestens.

Die Stimme an die Grenze getrieben

Und so blieb am Ende des Abends eigentlich nur eine Frage offen: Warum dieser an überraschenden Modulationen und kühnen Harmonien so reiche Zyklus auf Texte von Justinus Kerner verglichen mit anderen Lieder-Sammlungen Schumanns ein solches Schattendasein führt. Mit Goerne wird er zu einer atemberaubenden Achterbahnfahrt, im „Wanderlied“ treibt er seine Stimme zur Zeile „Es treibt in die Ferne mich mächtig hinaus“ dynamisch an die Grenze, als wollte er die Wände des Mozartsaales einreißen, führt sie aber gleich darauf im „Ersten Grün“ in eine Ausdruckstiefe, wie sie nicht Vielen zu Gebote steht. Dass das Wiener Konzerthaus diesem außergewöhnlichen Sänger in der laufenden Saison eine Personale widmet (nächstes Konzert: Beethovenws Neunte zum Jahreswechsel) ist mehr als angemessen.

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