Semyon Bychkovs höchst expressiver Tschaikowsky

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Fulminantes Philharmonisches Konzert à la russe im Musikverein.

Tschaikowskys viel gespielte, in durchschnittlichen Aufführungen stellenweise ins Sentimentale, Plakative abdriftende 6. Symphonie, die „Pathétique“ – wann war sie zuletzt mit solch niederschmetternder Intensität zu erleben? In einem grandiosen philharmonischen Abonnementskonzert unter Semyon Bychkov wurde Sonntagvormittag im Musikverein klar, wie spieltechnische Präzision und spontan wirkende Emotionalität ideal zusammenwirken können – im Dienste dieser elementaren Bekenntnis- und Abschiedsmusik. Extreme Kontraste lässt der Komponist aufeinanderprallen und geht dabei an die dynamischen Grenzen.

Bychkov schaffte es, alle Widersprüche, Brüche und Abgründe mit kluger Tempodramaturgie zu einem beklemmenden Psychogramm zusammenzusetzen. Dass dabei gerade das abschließende Satzpaar aus Marsch-Scherzo und Finale eine bipolare Störung in Töne fasst, zählte zu den stärksten Eindrücken dieser vor allem klanglich differenzierten Modellinterpretation: Wechseln die Stimmungen im Kopfsatz noch mehrmals in jäher Vehemenz und zittern stark abgeschwächt im beruhigenden 5/4-Takt-Walzer nach, sind dann für die überschäumende, diesmal fratzenhaft zugespitzte Exaltiertheit im dritten Satz dieselben zerstörerischen Kräfte verantwortlich, die im Adagio lamentoso den schluchzenden Zusammenbruch herbeiführen.

Mussorgsky in der Staatsoper

Unter Bychkovs präziser, anfeuernder Leitung wuchsen die Wiener Philharmoniker über sich selbst hinaus, erfüllten jeden Moment mit Expressivität: ein Ereignis, für das der Dirigent zuletzt noch solo aufs Podium zurückgerufen wurde.

In der Staatsoper betreut Bychkov die musikalisch fulminante Premierenserie von „Chowantschtschina“: noch mehr packende Düsternis. In der ersten Konzerthälfte durfte ein leichterer russischer Tonfall regieren, der freilich von der gleichen emotionalen Dringlichkeit und interpretatorischen Sorgfalt erfüllt war. In Schostakowitschs 2. Klavierkonzert konnte Kirill Gerstein mit federnd-brillanter pianistischer Lockerheit glänzen – inmitten von frech gemischten Holzbläserfarben, Streicherschärfe und hymnischer Emphase. Michail Glinkas einleitende, mit perfekt dosierten Violinglissandi garnierte „Valse-fantaisie“ erlaubte einen Blick in einen imperialen Ballsaal: Mehr melodische Elegance, rhythmischen Charme kann man sich auch beim Neujahrskonzert nicht wünschen. (wawe)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.11.2014)

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