»Traviata«: Crescendo im Verlöschen

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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In der Staatsoper wächst Ermonela Jaho Akt für Akt zur großen Violetta-Darstellerin: Im Sterben entfesselt sie alle dramatischen Energien.

Es war, was man paradoxerweise ein Crescendo im Verlöschen bezeichnen müsste: eine „Traviata“-Aufführung, die alles andere als spektakulär begann, sich aber zu ungeahnter Intensität steigerte. Dass Ermonela Jaho zuletzt Ovationen erntete, war nach der phänomenalen Studie, die sie mit „Addio del passato“ lieferte, vorherzusehen: Man hätte eine Stecknadel fallen hören können, so gespannt lauschte – und schaute – das Auditorium. Es lässt sich, so erfährt man bei solcher Gelegenheit, im kargen Hinterbühne-Ambiente von Jean-François Sivadiers Inszenierung durchaus eine spannende Geschichte erzählen, reduziert auf wenige beredte Gesten und musikalisch differenzierte Gestaltung.

Verdis Espressivo. „Dolente e pp, legato e dolce“, schreibt Verdi seiner Primadonna vor, dann: „con espressione“, feinste Abstufungen innerhalb der leisesten Region, derer die Singstimme fähig ist. Jaho realisiert sie mit stupender Piano-Kultur, phrasiert mit subtilen Nuancierungen weite Bögen – und was das Wichtigste ist: Wiens Opernorchester trägt die Stimme mit derselben fanatischen Modellierkunst. Denn Myung-Whun Chung, der vom ehemaligen Generalmusikdirektor des Hauses beide Verdi-Serien im Dezember übernommen hat, erweist sich als eminenter Könner in Sachen Opern-Italianità.

Es gibt am Beginn der Vorstellung ein paar Wackelkontakte zwischen Holz- und Blechbläsern, die freilich nur so lang irritierend wirken, als man nicht realisiert hat, worauf es diesem Dirigenten ankommt: Kleine Unstimmigkeiten regulieren sich ja tatsächlich von selbst, wenn sämtliche Musiker und die Sänger darauf einzuschwören sind, einander zuzuhören. In diesem Sinn ist Chung das, was auf italienischen Abendplakaten bis heute zu lesen steht: nicht nur der „Direttore d'orchestra“, sondern vor allem der „Maestro concertatore“. Er führt Bühne und Orchester zur höheren Einheit zusammen und bringt sie dazu, eines Sinnes die traurig-schöne Geschichte der Kameliendame zu erzählen.

Vor allem sind ihm die erwähnten, fanatisch genauen dynamischen Vorschriften der Partitur sakrosankt. Nicht immer spielen die Wiener Musiker ihren Verdi so abgestuft, so wenig knallig – und noch seltener bewahren sie zündenden dramatischen Vorwärtstrieb durchwegs auch im Pianissimo. Das macht (auch in den Chören) oft mitreißenden Effekt.

Vor allem aber wird dank der nie abreißenden Spannung das geradezu sadistisch deutlich auskomponierte Verlöschen der Heldin im dritten Akt zum Ereignis der leisen Töne. Das berückend schöne Violinsolo schwebt wie aus einer andern Welt kommend über wirklich in vierfachem Piano tremolierenden A-Dur-Akkorden. Da ist das Publikum längst spürbar gefangen.


Betörter Debütant. Violettas Verehrer haben es nicht leicht, bei solch bestrickendem Musiktheater mitzuhalten: Saimir Pirgus Alfredo sucht und findet immerhin zu mancher Piano-Phrase und ist seiner Angebeteten ein behutsamer Duettpartner. Der strenge Papa Germont des Staatsopern-Debütanten Vitaliy Bilyy vermag sogar mehr: Er betritt die Szene als roher, unhöflich auftrumpfender Machtmensch und wird, betört vom Charme und der menschlichen Größe Violettas – das heißt in diesem Fall vom warm strömenden, expressiv gefärbten Gesang –, weich wie Wachs. Seine große Arie singt Bilyy dann auf bemerkenswert langem Atem.

So steigert sich, was ordentlich beginnt, zum großen Opernabend und wird zuletzt mit lauter Begeisterung quittiert. Es ist nicht nur Richard-Strauss-Jahr...

Daten: 8., 12., 16.Dezember. Stream: www.staatsoperlive.com.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.12.2014)

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