Theater in der Josefstadt: Eine opernhafte „Kameliendame“

PROBE: ´DIE KAMELIENDAME´ IM THEATER IN DER JOSEFSTADT
PROBE: ´DIE KAMELIENDAME´ IM THEATER IN DER JOSEFSTADT(c) APA/MORITZ SCHELL (MORITZ SCHELL)
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Die Uraufführung von Dumas'Roman als Stück gelang nur halb. Sandra Cervik wirkt als Protagonistin zu melodramatisch. Das Schönste sind die Bilder.

Kaum dreht man den Fernseher auf, sieht man Debatten, Filme über Mädchenhandel und Prostitution. So gesehen ist „Die Kameliendame“ von Alexandre Dumas brisant. Doch der deutsche Opern- und Schauspielregisseur Torsten Fischer ging nicht in die Aktualisierungsfalle. Das Theater in der Josefstadt traut sich etwas, indem es die Uraufführung einer bekannten Geschichte in neuem Design zeigt, dies signalisierten die Ankündigungen. Einige Opernfreunde im Publikum schienen denn auch nach wenigen Minuten fertig mit diesem Abend und kamen aus dem Kopfschütteln nicht mehr heraus. Freilich, die Musik fehlt, aber hier wird eben etwas Neues versucht – dass derartige Umschreibungen sich durchsetzen, ist indes zweifelhaft.

Paris im 19. Jahrhundert, eine Gesellschaft von Altreichen, Neureichen, Spekulanten, tradierte Moralvorstellungen lösen sich auf, sie waren ohnehin brüchig, der Mann von Welt geht nicht nur bei Lehár ins Maxim, die dortigen Damen haben es immer noch besser als Schnitzlers süße Mädeln. Marguerite Gautier ist im Original eine durchaus exzentrische Person, die von ihrem Liebhaber Armand verlangt, dass er „gehorsam, unterwürfig und diskret“ sei. Sie weiß um ihre Wirkung, die sie zur Kurtisane in den besten Pariser Kreisen machte. Auch Armand kommt aus gutem Hause, vom Land, er kennt die zynischen Gebräuche in der Stadt noch nicht. Nestroy hätte aus diesem Stoff eine Posse gedichtet. Dumas schrieb sich seine Verzweiflung von der Seele. Er schuf einen atemlosen Bestseller, der auch heute noch mitreißt, bis auf die herablassenden Betrachtungen über gefallene Mädchen.

Wo sind die Zeiten, da Sandra Cervik wie ein Wirbelwind die geliebten Salondamen der Josefstadt hinwegfegte mit Frechheit, Witz und Temperament? Cervik hat auch Gaben fürs Charakterfach, für tragische Gestalten, zu sehen etwa 2013 in Zach Helms Drogendrama „Speed“. Als Kameliendame aber trägt sie zu dick auf, sinkt, stürzt hin, zieht sich gar aus und beutelt Armands Vater fast aus seinem Anzug. Cervik spielt mit größtem Einsatz, aber das ist nicht ihre Rolle.

Tonio Arango, Udo Samel begeistern

Nebenbei würde es sich für Autoren lohnen, einmal Stücke für die heutige Generation nicht mehr junger Frauen zu schreiben, die nicht alt sind, auch nicht „reif“, wie man so gern und doch diskriminierend sagt, sondern ihre Jugend mit Vitalität festhalten.

Die Aufführung lebt von starken Opernbildern, vielleicht hätte Fischer doch lieber die „Traviata“ inszenieren sollen. Herbert Schäfer, als Bühnenbildner glücklicher unterwegs denn als Textdichter, und Vasilis Triantafillopoulos, der die luxuriösen Kostüme entwarf, tragen den Abend. Zu Beginn sieht man die tote Marguerite auf dem Boden liegen, Armand will ihre Leiche noch einmal sehen. Später malt der große Spiegel tolle Vexierbilder, Schnee fällt, Frauen und Männer in Abendkleidung rasen über die Szene, das Ensemble schwingt sich auf Schaukeln, Licht und Schatten wechseln. Die Optik erinnert ein wenig an Willy Deckers gefeierte Salzburger „Traviata“ mit Anna Netrebko 2005, doch ist die Geschichte wuchtiger, archaischer geraten. Tonio Arango als Erzähler ist ein Gewinn, er gibt der Story eine ironisch-selbstironische Note, macht aber doch die Dramatik der ersten Liebe und des Verlusts deutlich. Blass bleibt sein Alter-Ego, der junge Armand (Alexander Absenger). Udo Samel beeindruckt als Armands Vater. André Pohl gibt als Graf mehr den schläfrigen Softie als den selbstsicher abwartenden Eroberer.

R&B-Stilist Willy DeVille, „Chronist einer mythisch verbrämten Kultur der New Yorker Bordsteinkante“, wie „Die Zeit“ 2009 zu seinem frühen Tod schrieb, raunt bezaubernd seinen herzzerreißenden Klassiker vom still stehenden Himmel, kurz klingt auch Verdi an, die musikalischen Kontraste passen und unterfüttern eine Aufführung, die viel verspricht, einiges hält, aber immer wieder ins hohle Drama absinkt, aus dem eben keine feurigen Opernklänge sie herausholen. Das Publikum applaudierte begeistert, speziell der erleichtert strahlenden Sandra Cervik.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.12.2014)

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