"Rigoletto"-Premiere mit zwei Hofnarren

(c) WIENER STAATSOPER/MICHAEL P�HN
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Simon Keenlyside verlor nach prächtig gestalteten eineinhalb Akten die Stimme und musste im zweiten Finale der Verdi-Oper die Bühne verlassen. Akt drei sang - wie bei der Generalprobe - Ensemblemitglied Paolo Rumetz achtbar.

Solche Schrecksekunden kommen (nicht nur in Wien) bei Premieren zuweilen vor. Zuletzt, man erinnert sich noch gut daran, verlor im Dezember 2007 Gott Wotan mitten im zweiten „Walküren“-Akt die Stimme – und wurde vokal dann im Schlussakt von einem Kollegen „gedoubelt“, den man via Mobiltelefon beim Pizzastand auffinden konnte.

Diesmal war man besser vorbereitet: Simon Keenlyside war während der Schlussproben krankgemeldet und wurde bereits in der Generalprobe von Paolo Rumetz ersetzt, der also die Neuinszenierung Pierre Audis kannte. Der Ernstfall trat ein. Keenlyside, der von ein paar kleinen Rauigkeiten abgesehen den ersten Akt in der von ihm erwarteten, höchst differenzierten Weise gesungen und auch für seine „Cortigiani“ noch lauten Applaus geerntet hatte, verließ mit Beginn des Schlussduetts die Bühne.

Dirigent Myung-Whun Chung dirigierte jedoch geistesgegenwärtig weiter – Connaisseurs erinnerten in den Pausengesprächen dann an einen ähnlichen Moment anno 1978, als Franco Bonisolli vor der „Troubadour“-Stretta abging – und Herbert von Karajan kurz entschlossen den Akt ohne Tenor, mit Chor und Orchester zu Ende brachte...

The show must go on. Erin Morley, die Gilda im neuen Wiener „Rigoletto“, sang ihre Solostrophe mit scheuem Blick in die Kulisse. Rigoletto kehrte zurück, um sie während der letzten Phrasen zumindest markierend zu begleiten. Peinlich berührte danach der unflätige Buhruf nach dem Fallen des Vorhangs – als ob ein bedeutender Sänger wie Keenlyside freiwillig von der Bühne abginge und durch das Missgeschick nicht genug gestraft wäre...

Die Leistungsfähigkeit der Staatsoper

Das Spiel wiederholte sich, als Staatsopern-Direktor Dominique Meyer vor Beginn des dritten Aktes erschien, um den Einspringer anzukündigen: Einem einsamen Buh folgte freilich tosender Applaus für den Wiener Opernchef. Das Publikum, anders als manche Stimmungsmacher mit dem qualitativ hochwertigen Repertoirebetrieb im Haus am Ring vertraut, weiß Meyers Arbeit offenkundig zu schätzen.

Tatsächlich hat die Staatsoper ja auch an diesem Abend ihre Leistungsfähigkeit erwiesen. Nicht nur im Angesicht der Krise, die dank Paolo Rumetz achtbar bewältigt werden konnte. Der Triester Bariton, seit zwei Jahren Ensemblemitglied, nutzte – vokal kraftstrotzend und daher viel eher dem traditionellen Rollenbild entsprechend als Keenlyside – seine Chance, sang den Schlussakt eindrucksvoll und erntete kräftigen Applaus.

Dominique Meyer wusste mit gutem Grund seinen Vorgänger Ioan Holender zu zitieren, der bei Gelegenheit der „Walküre“ verkündet hatte: „Auch Sänger sind Menschen...“

Bleibt zu hoffen, dass sich der große Gestalter Keenlyside, von dem auch im Finale der Oper ein subtiles Rollenporträt zu erwarten wäre, bald erholt, um den geplanten DVD-Mitschnitt der Neuproduktion zu ermöglichen. Das würde sich lohnen.

Denn, zieht man den Chaosfaktor des Abends ab, darf von einer musikalisch doch sehr guten Verdi-Premiere berichtet werden. Die amerikanische Sopranistin Erin Morley feierte ihr Österreich-Debüt und bewies nicht nur angesichts der unerwarteten „Soloeinlage“ Nervenstärke. Vor allem singt sie die Gilda mit blühend schöner Koloraturstimme, deren Timbre bis in die höchsten Koloraturhöhen wohlgerundet und ohne jede Schärfe bleibt. Die Todesszene phrasiert sie berührend zart und mit innigem Ausdruck.

Publikumsliebling Piotr Beczala dringt als Herzog mit seinem schlanken Tenor zuweilen mit spürbarem Nachdruck in Spinto-Regionen vor. Die Auftrittsarie wie die Canzonetta im dritten Akt modelliert er aber mit Eloquenz und Esprit, im Mittelakt zeigt er dann dramatischere Farben. Im Quartett vor der Gewitterszene findet er zu butterweicher, verführerisch timbrierter Kantilene. Bei dieser Gelegenheit punktet die bildschöne Maddalena von Elena Maximova auch mit wohltönendem Mezzo. Dem Sparafucile leiht Ryan Speedo Green einen auch in der Tiefe sonoren Bass.

Das Orchester: Fels in der Brandung

Myung-Whun Chung sorgte dafür, dass die Musiker aufmerksam auf die Stimmen achten und sich dem Bühnengeschehen passgenau anschmiegten. Unter seiner Leitung verliert das Orchester aber auch in farblich fein abgemischten Pianissimo-Passagen, deren Verdi so viele verlangt, nicht die nötige dramatische Mobilität.

Wo große Steigerungen möglich sind, greift der Dirigent auch kräftig zu: Im Vorspiel und vor allem auf dem Höhepunkt des Gewittersturms kommt es zu beeindruckenden philharmonischen Entladungen; vor allem aber trägt und inspiriert das Orchester durchwegs die Stimmen.

Und die Inszenierung? Pierre Audi, der das Stück in düsteren Hinterhöfen, aber in Renaissancekostümen (Ausstattung: Christof Hetzer) als bittere Tragödie von Angst, Hass, Neid und Missgunst spielen lässt, bekam manchen Buhruf ab. Doch wird Victor Hugos Geschichte von Anfang bis zum Ende spannend erzählt – das wird manchen Kommentatoren (trotz brutaler Details wie der „öffentlichen Hinrichtung“ von Monterone Sorin Coliban) zu wenig „fortschrittlich“ sein. Doch taugt die Produktion, in der auch die kleineren Partien (man beachte beispielsweise die prägnant modellierte Wandlung des Grafen Ceprano von Marcus Pelz vom eifersüchtigen Ehemann zum zynischen Intriganten) gut geführt sind, für das Repertoire. Auch während des Jahres werden sich Gastsänger auf der Drehbühne gut zurechtfinden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.12.2014)

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