Neujahrskonzert: Ein Strauß, den Mehta vom Stehplatz erlauschte

Mehrheitlich wienerisch, mit Abstecher zum „nordischen Strauß“: das Neujahrskonzert 2015.
Mehrheitlich wienerisch, mit Abstecher zum „nordischen Strauß“: das Neujahrskonzert 2015.(c) APA (Hans Punz)
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Unter dem „halben Wiener“ aus Indien feierte die Orchestrierungskunst der Strauß-Familie fröhliche Urständ'. Zubin Mehta dirigierte die Philharmoniker ohne Zwang – und weiß, wer im Orchester das Walzer-Spiel macht.

Zubin Mehta, der Maestro mit dem – für Dirigenten nicht eben alltäglichen – Herkunftsland Indien, ist, man weiß es, ein halber Wiener. Zumindest, was seine musikalische Sozialisation betrifft. Man musste schmunzeln, als er anlässlich seines fünften Auftritts im Rahmen des philharmonischen Neujahrskonzertes eine wohl nur für die Gäste im Musikvereinssaal wirklich amüsante Modifikation der üblichen Zelebrationen zum „Radetzkymarsch“ vornahm.

In aller Regel versuchen die Dirigenten den bei diesem Stück notorisch ausbrechenden Applaus des Publikums zu zügeln, indem sie signalisieren, wann laut, wann leise und wann möglichst gar nicht gepascht werden sollte. Mehta hingegen gelang es diesmal, die dieserart Mittaktierenden in Gruppen zu dividieren, und befehligte zuerst die Händchen in der linken, dann die in der rechten Logen-Reihe, in der Folge kamen Balkon und Galerie und zuletzt auch der Stehplatz an die Reihe, ehe alle wieder miteinander zum Finale gebeten wurden.

Die Sache mit dem Stehplatz hat natürlich allerhand für sich. Dort hat der einstige Student der Musik-Akademie, als sie noch nicht Universität hieß, dafür aber den weltweit berühmtesten Dirigenten-Ausbildner beschäftigte, seine wirkliche Ausbildung absolviert – indem er Vorbildern wie Karajan, Böhm, George Szell oder Otto Klemperer genau beobachtete.

Vor allem lernte der junge Mann auf diesem Wege, den Wiener Philharmonikern zuzuhören – in sie hinein zu lauschen; und vor allem anderen lernte er wohl zu begreifen, was bei diesem so besonderen Orchester alles von selber geht, wo der Mann am Pult am besten nicht eingreift.

Der „halbe Wiener“ aus Indien

In diesem Sinne war Zubin Mehta, seit die Philharmoniker dazu übergegangen sind, jedes Jahr einen anderen Interpreten zu Neujahr ans Pult zu bitten, einer der am besten vorbereiteten unter den internationalen Stars. Man konnte das auch heuer wieder spüren, denn in vielen der Stücke tut Mehta im allerbesten Sinne gar nichts, sondern überlässt den Musikern nach dem Auftakt das Feld.
Wo er gestaltend eingreift, tut er das nicht, wie so viele, vorrangig in Richtung des Konzertmeisters. Wie eine Johann-Strauß-Melodie zu modellieren ist, wissen die Wiener Primgeigen ja wirklich selber am besten. Er wendet sich viel eher den Sekundgeigen und den Bratschen zu, wissend, dass die das Walzer-Spiel machen. Da provoziert er oft kräftigere Akzentuierungen und treibt das Geschehen voran.

Übertriebene Verzögerungen leistet man sich interessanterweise erst beim „Donauwalzer“. Im Übrigen gilt: Rubatospiel sollte man nie forcieren.
Vor allem zeigt sich, dass ohne größeren Zwang die Orchestrierungs-Künste der Strauß-Familie fröhliche Urständ' feiern können: Kaum je hört man so gut, wie oft beispielsweise die Harfe drankommt – und wie sie sich mit den Pizzicati der Streicher hie und da zu erlesenen Riesengitarren-Akkorden vereint.

Auch manche Nuancen der Bläser-Riege gerieten diesmal wie absichtslos, mit selbstverständlicher Nonchalance hingestreut – das legendäre wienerische „picksüße Hölzel“ ist am Beginn der „Dorfschwalben aus Österreich“ zu ahnen, die Piccoloflöte führt in diesem Joseph-Strauß-Juwel später die ganze Partie – das Klangbild changiert tatsächlich von Komposition zu Komposition.

Ein paar späte Pièçen von Johann Strauß Sohn waren überdies zu entdecken: „Märchen aus dem Orient“, das Opus 444, und „An der Elbe“ op 477, beide im Musikverein uraufgeführt, letztere sogar im Rahmen des letzten Erscheinens des Walzerkönigs auf dem Konzertpodium.

Es hat schon etwas für sich, dass Strauß-Kenner meinen, dem Meister seien in späteren Jahren die Melodien nicht mehr so großzügig zugeflogen wie am Beginn seiner Karriere; doch lässt sich vorbringen, dass die Kunst der handwerklichen Verarbeitung im Gegenzug beeindruckend anwuchs.

Was an farblicher Illustrationskunst gelang, wirkt auch noch heute betörend, wenn es so herzhaft realisiert wird wie diesmal am 1. Jänner. Am herrlichsten blühte der Klang in den berühmtesten Nummern, voran in der traumverlorenen, auch dem späteren Strauß-Schaffen zuzurechnenden, höchst elaborierten Introduktion zu „Wein, Weib und Gesang“. Dass Richard Wagner gerade diesen Walzer besonders geschätzt hat, verwundert nicht: Man ist ja nicht immer sicher, wer bei wem gelegentlich Anleihen in orchestraler Koloristik genommen hat . . .

Polyglott nach Noten

Da man also als Hörer entsprechend gefordert war, verzichtete man leichten Herzens auf gröbere Klamauk-Einlagen. Eine vom Dirigenten selbst gezündete Bombe gab Tausende Konfetti in den Farben des prächtigen Blumenschmucks frei. Und der Oberkellner des benachbarten Café Imperial servierte stilecht Schaumwein zur „Champagner“–Polka des „nordischen Strauß“, Hans Christian Lumbye. Der Neujahrs-Maestro 2016 wird übrigens aus nördlicheren Regionen kommen: Der Lette Mariss Jansons ist zum dritten Mal der Wunschkandidat des Orchesters . . .

„Gaudeamus igitur“, gezähmt

Für 2015 blieb man aber doch mehrheitlich in wienerischen Gefilden. Sogar ein wenig politische Assoziationen waren möglich: Strauß Vater hat ja nicht nur den Habsburg-treuen „Radetzky-Marsch“ verfasst, sondern im selben Jahr 1848 anlässlich der März-Revolution auch einen „Freiheits-Marsch“, der von den Zeitgenossen wohl als liberales Signal empfunden wurde. Papa Strauß fand dann ja rascher in die k. u. k. Realität zurück als der zu seinem Leidwesen auch komponierende gleichnamige Sohn.

Späterhin gaben sich Johann, Joseph und Eduard ja eines Sinnes linientreu und boten aparte Gedankenspiele nur noch im Hinblick auf den technischen Fortschritt. Auch das war diesmal nachzuhören: bei Johann Strauß Sohn „electro-magnetisch“, bei Eduard „mit Dampf“. Selbst das „Gaudeamus igitur“ der Studenten erklang zur Freude spendenwilliger adeliger Patronessen Anno 1862 im längst gezähmten Takt der „Polka mazur“. Auch auf solch besinnliche Klänge verstand man sich zum Jahresauftakt 2015 bestens.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.01.2015)

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