Jubel für eine eiserne Lady der Oper

ARCHIVBILD: FOTOPROBE 'LA STRANIERA' (1. PREMIERE)
ARCHIVBILD: FOTOPROBE 'LA STRANIERA' (1. PREMIERE)APA/MONIKA RITTERSHAUS
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Theater an der Wien. Bellinis „Straniera“ in Doppelbesetzung, erster Abend: Die 68-jährige Edita Gruberová gibt als Fremde noch einmal alles – und feiert eher einen Sieg des Willens als einen der Stimme.

Für Liebende sind alle Abschiede überstürzt. Und im Theater an der Wien, bei Edita Gruberovás Auftritt als Fremder in „Straniera“, lag Abschied in der Luft. Spätestens 1976 hat Gruberová, zuvor im Haus am Ring vorwiegend in kleinen Partien eingesetzt, ja das Wiener Publikum erobert. Dass sie sich damals ihre wohl fulminanteste Rolle überhaupt, die Zerbinetta in Strauss' „Ariadne auf Naxos“, erst gegen Widerstand der Direktion ertrotzen musste, belegt ihren bis heute starken Willen gerade auch im Umgang mit Intendanten. Mit der eilig angesetzten Premiere von Donizettis „Lucia di Lammermoor“ zwei Jahre später wurde, neben einer glänzenden internationalen Karriere, die Staatsoper in der Folge zu einem Ort vieler erfüllter und auch manch unerfüllter Träume (aus „La fille du régiment“ wurde dann auch an der Volksoper nichts).

Königliche Rollen des Belcanto

Die schier bedingungslose Liebe einer großen Schar von Fans, die ihrem Idol nachreist, hat sich auch dann fortgesetzt, als Gruberová etwa ihren Mozart-Partien, Zerbinetta und Lucia nach diversen statistischen Rekorden den Rücken gekehrt und sich nicht zuletzt einer Reihe von königlichen Rollen des Belcanto zugewendet hat: Bei Bellinis Druidenpriesterin Norma oder den von Donizetti auf die Bühne gestellten Tudor-Queens, darunter die Elisabetta in „Roberto Devereux“, mischten sich die unbestreitbaren Vorzüge ihrer Stimme mit ebenso unverwechselbaren Eigenheiten und Mängeln vollends zum Profil einer wahren Diva. Stupende Geläufigkeit und geflutete, manchmal bewusst vibratolos gehaltene Pianissimi bis in höchste Höhe, die ihr schon früh den Vorwurf der Manieriertheit eingetragen haben, das spezielle Anschleifen hoher Töne oder theatralisch übertriebener, hohler Sprechgesang in den klangarmen tieferen Regionen – all das machte sie auch zu einer Göttin des Camp.

Eine Wanderanekdote erzählt von einem verblüfften Opernbesucher, der den begeistert klatschenden Nachbarn fragt, was denn gerade so großartig an dem Sänger gewesen sei und die Antwort erhält: „Den hätten Sie vor zehn Jahren hören sollen!“ Musikfreunde, deren liebendes Ohr nicht automatisch in die Vergangenheit zurücklauscht und diese vielleicht sogar lauter vernimmt als die Gegenwart, wissen nur zu gut: Gruberová, die kurz vor Weihnachten 68 geworden ist, hat schon seit einiger Zeit nicht mehr durchwegs großartige oder zumindest gute, sondern immer wieder auch problematische Abende zu verzeichnen, an denen neben natürlichen Verschleißerscheinungen auch Anlaufschwierigkeiten unüberhörbar waren und vor allem die Intonation stark ins Schwimmen geraten konnte. Aber der Wille ist ungebrochen, das Feuer lodert weiter: Der Liebe der Fans steht Gruberovás Liebe zur Bühne, zur Musik, zum Publikum zur Seite. An Abschied denkt sie nicht, er wäre ja ganz überstürzt...

Romantisch-abstruses Drama

Es darf als poetische Fügung gelten, dass es nun ausgerechnet „La straniera“ von Vincenzo Bellini ist, die selbst eher fremde, fast unbekannte unter den Werken des begnadeten Melodikers, mit der Edita Gruberová nun im Theater an der Wien ihre vermutlich letzte szenische Premiere in dieser Stadt bestreiten konnte. Denn in diesem romantisch-abstrusen Drama wimmelt es nur so von plötzlichen, katastrophal traumatisierenden Abschieden: Gräfin Agnes musste die Hoffnung auf ein Leben mit dem französischen König aufgeben, da dieser sich nicht scheiden lassen durfte; als Alaide lebt sie nun inkognito in der Bretagne, zieht dort die Liebe des jungen Grafen Arturo auf sich, der für sie seine Braut, Isoletta, noch am Hochzeitstag verlassen will – und sich nach doch noch geschlossener Ehe ersticht, als bekannt wird, dass der frisch verwitwete König seine einstige Geliebte auf den Thron hebt.

Bellinis Musik atmet neben der Beschwörung von Naturschönheit, die das RSO Wien unter Paolo Arrivabeni brav zum Klingen bringt, vor allem Melancholie und tiefe Beschwernis: An beiden Aktschlüssen gerät die entwurzelte, emotional hin- und hergerissene Agnes/Alaide mit virtuos geformten Verzierungen verständlicherweise außer sich. Auch wenn sie nicht bruchlos an ihre erste Wiener „Straniera“ (2013 konzertant im Musikverein) anschließen konnte, hatte die Diva, nehmt alles nur in allem, einen großen Abend im Herbst ihrer Karriere. Eine „Iron Lady“ der Oper, manchmal metallisch klirrend, dann wieder mit schwerelos schmerzlichen Seelentönen, stellte Gruberová alle Facetten ihrer Stimme, auch deren Makel, mit ehrlicher Kühnheit in den Dienst eines Ausdrucks, der manchmal die Grenze zum Verismo überschritt. Dafür gab es nicht nur Jubel, sondern auch zarten Widerspruch bei dieser überhaupt eher mit verhaltener Begeisterung aufgenommenen Koproduktion mit dem Opernhaus Zürich: Schon dort gab Dario Schmunck mit belastbarem, allerdings eher in heldischere Gefilde verweisendem Tenor den wankelmütigen Arturo. Mehr zur Musik, dem übrigen Ensemble und Christof Loys eher enttäuschender Regie in der Sonntagsausgabe: Dann ist nämlich von der B-Premiere zu berichten, bei der Marlis Petersen und Norman Reinhardt das verhinderte Liebespaar bilden.

Weitere Aufführungen: 18.,22.,26.1. (mit Gruberová/ Schmunck), 16.,24., 28.1. (mit Petersen/Reinhardt).

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.01.2015)

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