Welser-Möst: „Es war eine Befreiung!“

BALL DER WIENER PHILHARMONIKER: WELSER-M�ST
BALL DER WIENER PHILHARMONIKER: WELSER-M�ST(c) APA/HERBERT PFARRHOFER (HERBERT PFARRHOFER)
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Franz Welser-Möst über seine neue Freiheit, die Bedeutung der Oper für das Dirigierhandwerk – und über die Möglichkeit einer Rückkehr ins Haus am Ring.

Herr Welser-Möst, haben Sie sich innerlich schon von der Staatsoper lösen können?

Welser-Möst: Ich bin ein solcher Opernnarr, dass mir diese Kunstform schon fehlt – sie und die Philharmoniker. Alles andere fehlt mir nicht. Seit 1994 habe ich intensiv in Opernhäusern gearbeitet, in manchen Spielzeiten elf verschiedene Stücke gemacht. Der Salzburger „Rosenkavalier“ letzten Sommer war meine 70. Opernpremiere! Nun bin ich in einer neuen Phase. Im Mai dirigiere ich „Daphne“ in Cleveland, in Salzburg kommen „Fidelio“ und wieder „Rosenkavalier“. Darüber hinaus gibt es Pläne mit Salzburg, der Scala, der Met, mit München, Berlin und Amsterdam... Es geht weiter. Aber diese intensiven letzten zwanzig Jahre, die sind vorbei.

Sie haben 2003 in Wien als Einspringer für Christian Thielemann mit „Tristan“ reüssiert – sind Repertoirevorstellungen und Premieren nicht zwei ganz verschiedene Welten?

Klar! Das Handwerk des Operndirigierens beherrscht man wirklich nur dann, wenn man solche Einspringen bewältigt. Früher war es üblich, dass die großen Kapellmeister in Wien selbst einen „Wozzeck“ ohne Probe übernommen haben. Diese Selbstverständlichkeit ist uns abhanden gekommen. Ich finde es schade, dass viele meiner jüngeren Kollegen sich dieser Mühsal nicht mehr aussetzen wollen. Wir reden ja zuerst einmal von einem Handwerk. Das kann man nirgendwo besser lernen als im Graben.

War es schwer, befreundeten Künstlern Ihren Rücktritt begreiflich zu machen?

Ich habe oft gehört, man verstünde meinen Rücktritt als GMD, aber ich könnte ja noch hier dirigieren. Das ist ein betriebsfernes Argument. Ganz egal, mit welchem Unternehmer Sie reden – und die Staatsoper ist ein Staatsunternehmen, kein Kegelverein! –, alle bestätigen: Wenn Sie kündigen und noch ein Jahr bleiben, ist das das Schlimmste, was Sie dem Betrieb antun können. Meine Entscheidungsfindung war schmerzhaft, hat sich über eine lange Zeit hingezogen. Das Timing war nicht von mir vorgegeben, sondern von anderen bestimmenden Kräften. An der Oberfläche geht es nur ums Dirigieren – aber dazu hätte ich Tage, Wochen, Monate im Haus verbringen müssen. Das wäre auch für Dominique Meyer schlecht gewesen.

Und für Sie selbst.

Da denke ich, als jemand der versucht, verantwortungsbewusst zu sein, zuerst an den Betrieb, nicht an mich. Und mein Kündigungsgrund ist ja von der Staatsoper durch die einvernehmliche Vertragsauflösung voll und ganz anerkannt worden: Es gab künstlerische Entwicklungen, die ich nicht mittragen wollte. Ist musste die Konsequenzen ziehen – auch wenn es wahnsinnig schwerfiel, wegen des Orchesters, wegen wunderbarer Sänger. Man kann sich selbst nicht verleugnen, man macht sich sonst mitschuldig. Das heißt nicht unbedingt, dass ich Recht habe – aber es ist meine Sicht der Dinge. Für alle, die involviert waren, kann es keine Überraschung gewesen sein.

Was hat der Schritt für Sie persönlich bedeutet?

Es war eine Befreiung, aber es musste und muss verarbeitet werden. Ich habe ja keine Holzhackermentalität. Zuerst hatte ich Saisoneröffnung und Tournee mit dem Cleveland Orchestra, darauf eine Woche beim Bayerischen Rundfunk, dann erst begann die neue Freiheit, wenn Sie so wollen. Durch einen Todesfall in der Familie habe ich davon noch nicht viel genießen können. Immerhin habe ich mehr gelesen: Donna Tarts „Distelfink“, „Das erste, was ich sah“ von Karl-Markus Gauß, Köhlmeiers „Zwei Herren am Strand“, Ludwig Winders „Thronfolger“, „Sommer 1927“ von Bill Bryson, Fachliteratur.

Keine Partituren?

Dazu hatte ich keine Energie. Erst nach Weihnachten hat langsam wieder die alte Studiersucht begonnen.

Werden Sie in nächster Zeit für Sie neue Stücke dirigieren?

Ja, neben „Daphne“ auch „Die Liebe der Danae“ von Strauss, Reimanns „Lear“, Bartóks „Blaubart“, gemeinsam mit dem „Wunderbaren Mandarin“, szenisch in Cleveland... Meine Neugierde habe ich nicht verloren.

Chefdirigent des Cleveland Orchestra ist der Posten mit der längsten Dauer in Ihrer Biografie. Was ist das Besondere an Cleveland?

Der Geist. Cleveland ist, auch aus ökonomischen Gründen, eine Art Insel. Das hat Vor- und Nachteile. Musiker gehen nach Cleveland so wie andere Leute ins Kloster. Nach New York, San Francisco oder Chicago will man wegen der aufregenden Metropolen, aber nach Cleveland geht man, um – ich sage es bewusst pathetisch, weil es einfach stimmt – sein professionelles Leben diesem Orchester zu weihen. Die zeitgenössischen Komponisten, die wir gespielt haben, sagen, Cleveland sei etwas Besonderes. Weil das Orchester so irrsinnig gut vorbereitet ist – und die Musik mit desto größerer Leichtigkeit spielt, je komplexer sie ist. Und wir haben enormen Erfolg bei der Jugend: Eine Familie hat 20 Millionen Dollar gespendet mit der Auflage, dass die Zinsen daraus freien Eintritt für alle unter 18 ermöglichen. Dazu haben wir vom lokalen Football-Team einen Social-Media-Experten abgeworben: Durch diese beiden Komponenten ist das Haus mit jungen Leuten voll, und 90 Prozent von denen kommen immer wieder!

Mit den Wiener Philharmonikern gehen Sie im Juni auf Tournee. Gibt es auch Pläne für eine Rückkehr an die Staatsoper?

Ich würde gerne wieder kommen, schon allein wegen des Orchesters. Dominique Meyer hat mehrfach gesagt, er würde nichts dazu tun, um meine Rückkehr zu verhindern. Aber dazu müsste er mich engagieren.

Gibt es aktuell Gespräche?

Nein.

Steckbrief

Franz Welser-Möst,geboren 1960 in Linz, absolvierte das Musikgymnasium in seiner Heimatstadt, studierte Geige, wandte sich nach einem Autounfall jedoch ganz dem Dirigieren zu.

Chefpositionen
bekleidete er in Stockholm, Norrköping, London, Zürich, seit 2002 in Cleveland und von 2010 bis 2014 an der Wiener Staatsoper, wo er bereits 1987 mit Rossinis „Italienerin in Algier“ debütierte, aber bei seinem Comeback im September 2003 als Einspringer mit „Tristan und Isolde“ nachhaltig auf sich aufmerksam machte.

Ioan Holenderbetraute Welser-Möst mit der musikalischen Einstudierung von Richard Strauss' „Arabella“ und der neuen Inszenierung des „Ring des Nibelungen“ von Sven-Eric Bechtolf, die 2007 bis 2009 herauskam. 2007 erfolgte die Designierung zum Generalmusikdirektor der Staatsoper.

In Salzburg
wird Welser-Möst heuer wieder Oper dirigieren: Am 4. August hat „Fidelio“ Premiere, am 20. August wird die Vorjahres-Produktion des „Rosenkavalier“ wiederaufgenommen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.01.2015)

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