Lucias Wahnsinn hat jetzt Methode

Lucia di Lammermoor
Lucia di Lammermoor(c) Bayrische Staatsoper - Wilfried Hösl
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Diana Damrau singt Donizettis tragische Heldin erstmals in einem musikalisch originalgetreu aufbereiteten Umfeld: dank Bayerischem Staatsorchester und Kirill Petrenko.

Österreichische Musikfreunde werden erstaunt sein: Diana Damrau, die der Salzburger Mozartwoche für kommenden Samstag krankheitshalber abgesagt hat, sang am Montagabend in der Bayerischen Staatsoper die „Lucia di Lammermoor“. Freilich war in München zu erfahren, dass die Künstlerin während der Proben tatsächlich krank war.

Vielleicht sind einige nur mit spürbarer Mühe bewältigte Spitzentöne und eine gewisse Inflexibilität der Stimme in Sachen Pianokultur dieser Unpässlichkeit geschuldet. Dennoch gab es Jubel für vokale Gestaltungskunst: Damraus Stimme ist runder, kräftiger geworden. Die Mixtur aus jugendlichem Backfisch-Überschwang und visionärer Obsession gerät schon im ersten Akt zum zwingenden Porträt einer übersensiblen, durchaus gefährdeten Seele – die „Wahnsinnsarie“ kommt also nicht unvorbereitet.

Zumindest nicht musikalisch. Szenisch ist die Münchner Neuinszenierung ein Reinfall. Die Bühne (Barbara Hanicka) stellt ein von Vandalen zerstörtes ehemaliges Büro dar, Sir Edgar fährt mit dem amerikanischen Oldtimer-Cabrio vor, und fortwährend fuchtelt jemand mit einem Revolver herum. Personenführung, wie sie etwa die Damrau bitter nötig hätte, um ihre vokale Vielseitigkeit nicht mit neckischem Gehabe zu ruinieren, scheint für die Regisseuse Barbara Wysocka ein Fremdwort zu sein. Stattdessen wandert wieder ein Mäderl (wohl Symbol für Kindheitstraumata oder ähnlich pseudopsychologische Konnotationen) über die Bühne.

Donizettis Herausforderungen

Die verschenkte Optik dieser sogenannten Inszenierung steht quer zur musikalischen Gestaltung durch den Münchner Generalmusikdirektor Kirill Petrenko. Was da an fein ausgehörten Klangmixturen – inklusive schwebender Glasharmonikatöne – zu hören ist, wie Chor und Orchester virtuos und mit Elan dynamische Extreme auskosten, das ist in einer Belcanto-Aufführung nicht nur in deutschsprachigen Landen eine Rarität. In Wahrheit wird sich vermutlich kaum ein Opernfreund daran erinnern, Donizetti irgendwann so differenziert und expressiv musiziert gehört zu haben. Nicht so sehr die enzyklopädische Vorbereitung dieser Produktion, in der auf Punkt und Komma und ohne Kürzung realisiert wird, was bei Donizetti in der Partitur steht, legt hier die Latte für künftige Versuche im Belcanto-Repertoire. In dem Wie liegt der ganze Unterschied. Musizierend werden hier Maßstäbe gesetzt.

Was etwa die Klarinetten an geschmeidiger Belcanto-Phrasierung hören lassen, ist eine Vorgabe auch für die Sänger. Von der Münchner Premierenbesetzung kann mit dem gestalterischen Elan des Dirigenten beinah nur Pavol Bresliks Edgardo wirklich mithalten. Er nimmt mit heller, beweglicher Stimme auch die Pianissimo-Herausforderungen an, die von Chor und Orchester kommen. Dalibor Jenis ist in jeder Hinsicht Bresliks Gegenspieler: Dieser Lord Henry kennt, scheint's, nur eine Stimmfarbe: steif, und eine Lautstärke: forte.

Doch gelingt es Petrenko auf mirakulöse Weise, sogar ihn zu bewegen, zumindest für drei Minuten leise zu singen: Der Beginn des berühmten Sextetts im Hochzeitsakt gehört für mich zu den erinnernswerten Augenblicken der jüngeren Interpretationsgeschichte: Da beginnt in schier atemloser Spannung eine melodische Entwicklung, in der Donizetti wirklich alle Kräfte bruchlos zu einem gigantischen emotionalen Crescendo bündelt: Nicht einmal für die notorische Fermate auf dem Spitzenton nimmt man sich Zeit; vielmehr streben die kunstvoll verwobenen Melodielinien eines Sinnes dem Schlussakkord zu. In solch unausweichlicher Sogwirkung hat man das noch nie hören können.

Am 8. Februar dürfen via Livestream alle dabei sein und bei der Gelegenheit auch die soliden Leistungen des übrigen Ensembles (mit Georg Zeppenfelds orgelndem Raimondo und zwei guten Tenören in den undankbaren Partien von Normanno – Dean Power – und Lord Arthur – Emanuele D'Aguanno) bewundern. In den dümmsten Momenten der Inszenierung darf man dann einfach mit geschlossenen Augen den Ton genießen.

Lucia di Lammermoor in München: Aufführungen am 29. Jänner, 1., 5., 8. und 11. Februar. Livestream am 8. 2.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.01.2015)

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