"Aida" an der Scala: Peter Stein nimmt Verdis Theatergenie ernst

(c) Brescia/Amisano © Teatro alla Scala
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Ist die "Aida" uninszenierbar? Nicht, wenn man sie so imposant und spannend darstellt, wie der Komponist sie erdacht hat. Peter Stein ist das gelungen.

Da ist dem Intendanten Alexander Pereira ein Coup geglückt: Peter Stein adaptierte seine Moskauer Inszenierung von Verdis ,,Aida“. Das Werk gilt gemeinhin als uninszenierbar – trotzdem reüssierte Stein auch in Mailand glänzend. Die gefürchtete Hürde namens ,,Triumphakt“ nahm er in der ihm eigenen Gelassenheit. Ein Massenumzug samt Blaskapelle sieht aus wie ein Massenumzug samt Blaskapelle. Da gibt es nichts regietheaterlich zu deuteln.

Das will Stein ja auch nicht. Er nimmt das Werk ernst und meint ganz offensichtlich: Wenn ein Theatergenie wie Verdi auf der Höhe seines Könnens eine solche Geschichte vertont, dann kann das nur eine spannende, anrührende Sache sein. Und wenn Verdi auf dem äußeren Höhepunkt des Geschehens Solostimmen und Chor zu imposanten Klang-Agglomerationen schichtet, dann arrangiert Stein Solisten und Statisten zur ebenso imposanten Theaterarchitektur. Das gehört dazu. Und unter Weglassung des Balletts löst sich die notorische Peinlichkeit in realistische Kolportage auf: man zelebriert einen militärischen Sieg, wie's im Libretto steht.

Der Rest der Oper ist ohnehin intim konzentriertes Spiel liebender, eifersüchtiger und/oder machtbesessener Menschen – und auf das versteht sich Stein wie kaum ein Regisseurskollege. So werden an der Scala Schicksale sichtbar. Jenes der Königstochter, die in den Kriegshelden vernarrt ist, der wiederum die Sklavin viel begehrenswerter findet als deren Herrin. Jenes der liebenden Tochter eines Feldherrn, der sein Kind zum Verrat am Geliebten zwingt – eine Szene, die Kristin Lewis als Aida rund um den in jeder Hinsicht beherrscht-unbewegten Amonasro George Gagnidze herzzerreißend ausspielt: Man wird Zeuge, wie sie am Zwiespalt zwischen Familienehre und liebender Zuneigung fast zerbricht. Man erlebt auch die Eifersucht zwischen den beiden Frauengestalten und bekommt zu sehen, was Verdi mit seismografischen musikalischen Mitteln präzis gezeichnet hat. Die melodischen, motivischen, rhythmischen Gestalten der Musik scheinen behutsam in szenische Bewegung verwandelt.

Darstellerisch brilliert an diesem Abend wirklich das gesamte Ensemble: Neben Gagnidze und der weltweit derzeit wohl meistbeschäftigten Aida auch die machtvolle Amneris von Anita Rachvelishvili. Sogar der als Einspringer für den erkrankten Fabio Sartori aus Rom eingeflogene Massimilano Pisapia schlägt sich als Radames wacker. Carlo Colombara gibt den würdevollen Pharao, Matti Salminen ist der vokal zwar nicht mehr ganz so gewaltige, aber höchst respektgebietend agierende Hohepriester.

Mehta animiert Chor und Orchester

Was – manchem deutlich, manchem noch viel deutlicher – an stimmlichem Feingefühl abgeht, ersetzt ebenso temperamentvolles wie sensibles Spiel. Musiktheater überzeugt manchmal auch, wenn die Betonung mehr auf dem Theater liegt. Das ist die spannende Erfahrung dieser Premiere.

Dass Verdis eminente Ansprüche an die vokale Gestaltungskraft der Darsteller heutzutage kaum noch erfüllbar scheinen, hört man an diesem Abend freilich von Takt zu Takt, im besten Fall von Phrase zu Phrase, falls der gerade aktive Solist solche aus Tönen zu binden imstande ist. Hie und da sind es doch eher imposante Einzeltöne wie die machtvoll herausgeschleuderten Tiefen der Amneris, die musikalische Akzente setzen. Doch animiert Zubin Mehta nicht nur den Chor der Scala zu durchschlagkräftiger Aktivität, sondern auch das Orchester zu farbenprächtigem und nervös-intensivem Spiel – womit er manch vokale Unebenheit austariert. Sowohl vom Dirigenten als auch vom Regisseur wird diese Aufführung jedenfalls beständig in Schwung gehalten.

In den schlichten Quaderbildern Ferdinand Wögerbauers leuchtet Joachim Barth die Szenen mit Sinn für Poesie und Stimmungsmalerei aus. Nanà Cecchis Kostüme orientieren sich dezent an dem, was laut Textbuch erzählt werden soll: einer Geschichte aus dem alten Ägypten. Dergleichen ist in deutschsprachigen Landen ja fast nicht mehr möglich. In Mailand schert man sich aber nicht um den Geschmack einzelner Rezensenten, sondern versucht, das Publikum zu erfreuen und mit genau jenem Stück zu konfrontieren, das auf dem Abendzettel angekündigt ist. Das gelingt ganz offensichtlich.

„Aida“ an der Scala: 18., 21. und 25.2.; 1., 11. und 14.3.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.02.2015)

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