Philippe Jordan erzählt Mahler wie ein Märchen

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Die Wiener Symphoniker und ihr Chefdirigent konfrontieren heute noch einmal die Vierte mit Schubert.

Mahlers Vierte gilt als kleine Schwester der riesenhaften Symphonien, die sie umgeben. Doch hat der Komponist selbst bemerkt, sein Stück rechne trotz verhältnismäßig kurzer Dauer und der im Vergleich geradezu kammermusikalischen Orchesterbesetzung zum „großen Einmaleins“ der klingenden Seelenbespiegelung. Vor allem steckt sie voller Fallstricke und doppelter Böden. Bald erfahren Erinnerungen an Kinderlieder triumphale Apotheosen, bald dringen fratzenhafte Grimassen auf idyllische Klangbilder ein; immer wieder scheint der musikalische Fluss durch unerwartete Staumaßnahmen genötigt, sich aus einem friedlichen Gewässer in reißende Stromschnellen zu verwandeln.

Diese Paradoxien macht Jordan hörbar, indem er seine höchst engagiert aufspielenden Wiener Symphoniker animiert, ihre Soli mit der gebotenen Eindringlichkeit und Prägnanz zu gestalten, oft – wie's die Partitur vorschreibt – ohne Rücksicht auf das Umfeld, das in subtiler dynamischer Registrierung herrlich weiche Übergänge und behutsame melodische Entwicklungen, aber auch kräftige Akzente und in buntesten Farben gemalte Tableaux kennt. Doch hat Jordan bei aller Kunst der Feinabstimmung Mut zum Grellen, zum Zerrbild. Detailversessen werden alle Effekte adäquat ausgespielt, ohne dass freilich das Ganze seine formale Konsistenz einbüßen würde.

Musik aus höheren Dimensionen

Philippe Jordan entpuppt sich als begnadeter Märchenerzähler: Je unwahrscheinlicher die Geschichte wird, desto logischer scheint sie dem gespannt lauschenden Zuhörer. Kinder und Musikfreunde haben ja nie Probleme mit höheren Dimensionen der Wahrnehmung . . .

Camilla Tillings Sopran plaudert im geforderten gradlinigen Unschuldston die Ungeheuerlichkeiten des „himmlischen Lebens“ aus. Das Stück schließt ätherisch-still, doch ist zu viel passiert, als dass den Hörer der Nachklang der Erlebnisse allzu bald losließe.

Zur Einstimmung gibt es, spritzig und mit Esprit formuliert, Franz Schuberts Sechste, eine symphonische Rossiniade, in der die Symphoniker in gebändigter Form, aber nicht minder eloquent brillieren. Der höchst empfehlenswerte Abend wiederholt sich heute, Freitag.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.03.2015)

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