Staatsoper: Als Krimis noch sowjetisch waren

Lady Macbeth von Mzensk
Lady Macbeth von Mzensk(c) Staatsoper/ Michael Poehn
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Dmitri Schostakowitschs „Lady Macbeth von Mzensk“, in Russland einst von Stalin persönlich verboten, fungiert heute als spannende Abendunterhaltung in Opernform.

Schostakowtischs „Lady Macbeth von Mzensk“ war in der frühen Sowjetunion der Aufreger schlechthin. Die Widersprüche entzündeten sich so sehr, dass Väterchen Stalin höchstpersönlich einschritt: Hinfort sollte in seinem Reich nur noch die Volkskultur gepflegt werden. Avantgardistisches solch aggressiven Zuschnitts durfte keinen Platz mehr haben.

Um welche künstlerische Schlagkraft der Diktator den kommunistischen Teil der Welt damals mit einem Federstrich gebracht hat, kann man bei heutigen Aufführungen kaum noch spüren. „Lady Macbeth“ ist in Zeiten wie diesen längst zu einem historischen Phänomen geworden. Das bleibt immerhin spannend: So konsequent hat die Techniken des späteren TV-Krimis niemand auf der Musiktheaterbühne vorweggenommen.

Spannung fürs Hauptabendprogramm

Entsprechend „konsumiert“ das Publikum auch im Opern-„Hauptabendprogramm“ das einst so skandalträchtige Stück. Matthias Hartmann hat als wohlbestallter Burgtheater-Direktor 2009 eine Staatsoperninszenierung erarbeitet und jetzt die Wiederaufnahme betreut. Die Erzählung in den praktikablen Bühnenbildern Volker Hintermeiers hält sich ziemlich penibel an die Vorgänge im Libretto, fügt jedenfalls nichts hinzu und verfälscht nichts. Das kann man ja beileibe nicht von allen Produktionen behaupten, die Wiens Opernchef, Dominique Meyer, von seinem Vorgänger geerbt hat. Nun steht für die Neueinstudierung nicht nur der Originalregisseur zur Verfügung, sondern auch Dirigent Ingo Metzmacher wieder am Pult – und es darf behauptet werden, dass seine Interpretation der kühnen Partitur zwar nicht an rhythmischer Prägnanz, aber sehr an Ausdrucksschärfe und dramaturgischer Intensität gewonnen hat.

Diesmal verdichtet sich die Spannung dank der immensen Orchesterleistung oft enorm, nicht nur dort, wo mit Zusatz-Blasorchester extreme Lautstärkegrade erreicht werden, sondern gerade dort, wo Schostakowitsch die Dynamik in Pianissimobereiche zurücknimmt und die farbliche Registrierung ausdünnt: ein Violinsolo, ein paar Töne des Kontrafagotts genügen. Wie die Klänge in Beziehung zur Handlung stehen, ist auch für den Erstbesucher sofort zu entschlüsseln.

Dass die zynisch-kabarettistischen, die zeitkritischen – gegen die kirchliche Obrigkeit ebenso wie gegen die Polizeigewalt gerichteten – Aspekte heute nicht mehr provokant wirken, sondern nur noch amüsant, ist wohl auch dem Zeitgeist zu verdanken. So kommt es immerhin zu entspannenden Momenten, während die mörderische Haupthandlung, die brutalen Gewalt- und Sexszenen in einer völlig von jeglicher Humanität befreiten Welt ungemein packen.

Profunde Studie der Widerwärtigkeit

Die Premieren-Sänger sind wieder da: Angela Denoke in der Titelpartie, von der Fadesse der ersten Akte über die vergebliche Hoffnung bis zur Selbstaufgabe auf dem Weg in die sibirische Verbannung zeichnet sie ein bewegendes Porträt einer Mörderin aus Verzweiflung. Kurt Rydl als rüder, menschenverachtender, altersgeiler Schwiegerpapa liefert eine Studie der Widerwärtigkeit, die schwer zu überbieten sein dürfte. Marian Talaba ist der Schwächling, der dran glauben muss, Misha Didyk der virile Kraftlackel ohne jeglichen Anflug von Gewissen.

Hinzu kommen neue, prägnante Figuren: der Pope Ryan Speedo Greens, der Polizeichef Sorin Colibans und die Sonjetka von Monika Bohinec, die allesamt stimmlich wie darstellerisch glänzend reüssieren. Nur Herwig Pecoraros Charaktertenor drohte im „schwarzen Scherzo“ des „Schäbigen“, der die Leiche des entsorgten Ehemanns entdeckt, des Öfteren vollständig unterzugehen.

Das Publikum empfand den musikalisch starken Abend, durch keine Regie-Untaten gestört, offenbar als absolut stimmig und jubelte. (Noch am 11., 14. und 17.März.)

HARTMANN UND DIE BUNDESTHEATER

Prozess. Matthias Hartmann hat die Inszenierung der „Lady Macbeth von Mzensk“ 2009 erarbeitet und laut Wiener Staatsoper lang vor seiner Entlassung als Burgchef zugesagt, auch die Wiederaufnahme zu betreuen. Sein Engagement sei aber „juristisch nicht ganz ohne Probleme“, so der interimistische Chef der Bundestheater-Holding, Günter Rhomberg. Hartmann hat gegen die Bundestheater einen Prozess angestrengt, der derzeit auf Eis gelegt ist. Die Höhe von Hartmanns Gage will die Staatsoper nicht preisgeben.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.03.2015)

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