Im Gespräch: Anja Silja auf allen Wiener Bühnen

(c) Theater an der Wien/Johannes Ifkovits
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Über die Freuden der Großmutterrolle, die Kunst, gegenüber mediokren Regisseuren subversiv zu wirken und Novitäten, die der Stimme zu hoch oder zu tief liegen.

Anja Silja kehrt in den kommenden Wochen auf zwei Wiener Bühnen zurück: Im Theater an der Wien verkörpert sie, wie schon bei der Bregenzer Uraufführung, die Großmutter in Heinz Karl Grubers Vertonung der „Geschichten aus dem Wienerwald“ von Ödön von Horváth. An der Staatsoper wirkt sie an einer Gala mit, in der Neill Shicoff sein 40-Jahr-Bühnenjubiläum im Haus am Ring zelebriert.

Dass die Silja bei der Shicoff-Ehrung dabei ist, hat einen ironischen Zug. Diese findet nämlich am 3. Mai statt, genau 56 Jahre und einen Tag nach dem Staatsoperndebüt Anja Siljas, die damit auf eine bedeutend längere Wiener Karriere zurückblicken kann als der Tenor. „So genau hatte ich das gar nicht im Kopf“, sagt sie und lacht: „Ich freu mich jedenfalls, dass ich dabei bin“, sagt die Silja und erinnert sich an den gemeinsamen Auftritt in Tschaikowskys „Pique Dame“: „Endlich einmal einer, der nicht nur rumsteht und singt“, sagt sie über Shicoff. Auf Musiktheater, mit Betonung auf Theater, ist Anja Silja ja seit Jugendtagen geeicht.

Das Regietheater ist gar keines

Deshalb bedauert sie es, dass unter den jungen Opernsängern jene „wieder überhandnehmen, die sich hinstellen und einfach singen, als hätten die großen Regisseure gar nicht gelebt“. Diesbezüglich ortet sie einen gewaltigen Rückschritt, obwohl oder gerade weil heutzutage so viel vom Regietheater die Rede ist: „Regietheater kann man das ja nicht nennen“, mit Regieführen hätte das, was auf den Opernbühnen derzeit mehrheitlich passiere, gar nichts zu tun: „Es herrscht ein Mangel an Regisseuren“, holt sie aus, „denen geht es heute nur um die Optik und was da Spektakuläres zu sehen ist, möglichst Toiletten auf der Bühne oder so was. Was die Sänger dazu machen, ist denen völlig wurscht. Wenn man genauer hinguckt, läuft das immer nach Schema F. Hauptsache, die Leute sagen: toll. Oder: furchtbar. Oder: provokant. Aber es geht dabei nie um die Sänger, nur um das Drumherum.“

Was heute als „große Darstellung“ eingestuft werde, sei doch meist „eine sportliche Leistung. Die rennen wie wahnsinnig auf der Bühne herum. Das kann man aber nicht als Regietheater bezeichnen! Mit Regie hat das gar nichts zu tun.“ Freilich: „Es sagt keiner der Sänger Nein. Ich bin da immer die Einzige und stehe auf den schwarzen Listen von Intendanten und Regisseuren. Die Jungen meinen immer: Das können wir uns nicht leisten. Wir müssen mitmachen.“

Sie selbst sei auch schon einmal „wirklich ausgestiegen aus einer Produktion. Das war in Spanien. Da wollte ich von Anfang an raus, aber die Intendanz meinte: Nein, Sie sind doch unser Star. Sie müssen bleiben. Dann hab ich mich so dämlich angestellt bei den Proben, dass die doch meinten, ich möge doch bitte lieber gehen, ich würde da nicht reinpassen. Darauf ich: Ja, das sag ich doch die ganze Zeit . . .“

Ganz gleichgültig war ihr das Gefühl, hinausgeworfen worden zu sein, dann auch wieder nicht. Aber „sonst hab ich mich ja immer geeinigt – auch mit minderbemittelten Regisseuren. Ich habe dann meist so eingegriffen, dass die das Gefühl hatten, sie hätten es selbst so erfunden.“

Gestalterische Diplomatie könnte man das nennen. Freilich: „In jüngster Zeit hatte ich Glück“, erinnert sich Silja mit Freude an ihre erste Zusammenarbeit mit Harry Kupfer, den sie früher mied, „weil ich dachte, bei ihm wird zu viel rumgerannt“. Doch anlässlich der Arbeiten an Prokofieffs „Spieler“ in Frankfurt stellte sich heraus: „Kupfer ist ein hochgescheiter Mann, kennt die Musik in- und auswendig und weiß auch ungeheuer viel über die zugrunde liegende Dichtung. Solche Regisseure kann man heute an einer Hand abzählen.“

Nur böse alte Damen für die Frohnatur

Außerdem sitzt die Großmutter in diesem Stück im Rollstuhl, also war nicht allzu viel Aktionismus zu befürchten. Überhaupt die Großmütter: „Ich bin jetzt auf böse alte Frauen abonniert, war die Gräfin in ,Pique Dame‘ in Hamburg, die ,Mumie‘ in Reimanns ,Gespenstersonate‘, die Großmutter im ,Spieler‘ – und im Theater an der Wien jetzt wieder die Großmutter.“ Auch nicht gerade eine Sympathieträgerin.

Dieses Image steht völlig quer zu Siljas privatem Naturell: „Zu meinen Enkeln bin ich ja, glaub ich, sehr nett.“ An die widerwärtige Horváth-Figur geht Anja Silja nach Noten heran, die Heinz Karl Gruber komponiert hat. Als Teil der Uraufführungsbesetzung hat man den Vorteil, ein wenig mitreden zu dürfen. „Ich habe Gruber angerufen, nachdem ich den Klavierauszug der ersten Szene bekommen hatte: Das war alles recht hoch notiert, und ich meinte: Die Großmama kreischt doch nicht so rum. Darauf Gruber: Dann singen Sie's ruhig eine Terz tiefer, wenn Sie wollen. In der nächsten Szene war dann alles ein bisschen zu tief notiert.“

So häufig, wie man annehmen möchte, ist das eminente Bühnentemperament Silja in der Vergangenheit gar nicht für Uraufführungen herangezogen worden: „Ein paar Partien, die ausdrücklich für mich geschrieben waren, von Orff oder Fortner, habe ich dann gar nicht gesungen. In Wien war aber die Uraufführung von ,Kabale und Liebe‘ von Gottfried von Einem. Das ist dann nie wieder aufgeführt worden.“

Dass sie letztlich lieber Wagner oder Strauss gesungen hat, lag vorrangig an der Arbeit mit ihrem Lebenspartner Wieland Wagner, einem Meister des Regietheaters im besten Sinne. Dieserart im Musiktheater sozialisiert zu werden macht süchtig – und sorgt häufig für Enttäuschungen, sobald man mit der heutigen Realität konfrontiert wird.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.03.2015)

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