Musikverein: Trauermarsch und Harfen

(c) ORF (Ali Schafler)
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Händels englisches Oratorium „Saul“ halbszenisch aufgeführt unter Nikolaus Harnoncourt: Ein farbenreiches Drama.

Plötzlich Dunkelheit. Von der Orgelempore gießt sich Nebel über die Bühne aus, durch den Florian Boesch mit hochgeschlagenem Mantelkragen schreitet. Als seelisch zerrütteter König Saul konsultiert er geheim die Hexe von Endor – und im flammendroten Lichtkegel erscheint Marjana Lipovšek wie eine biblische Azucena, um in furchterregender Baritonlage den Propheten Samuel heraufzubeschwören... Auch wenn Nikolaus Harnoncourt ein „herkömmliches“ Oratorium dirigiert, ist mit Ungewöhnlichem zu rechnen. Oft hat er bei konzertanten Aufführungen mehr oder minder starke szenische Elemente eingebunden, wenn er sie für das Verständnis und den Effekt wichtig gehalten hat; nun ist dabei wohl ein neuer Höhepunkt erreicht.

Dabei bedarf Händels „Saul“ ja eigentlich keiner Nachhilfe, handelt es sich doch um eine ganz besondere Partitur – schon allein deshalb, weil die Musik selbst in der Geschichte eine entscheidende Rolle spielt: Durch Davids besänftigendes Harfenspiel, aber auch in jener exquisiten Szene, in der die jubelnden Frauen nach dem Sieg über die Philister dem König tausend getötete Feinde gutschreiben, dem Hirtenknaben David jedoch, der Goliath erledigt hat, zehntausend. Da ist Harnoncourt ganz in seinem Element. Zu den so entzückenden wie absonderlichen Klängen eines Glockenspiels, das Händel hier verlangt, inszeniert er die Damen des wieder großartig wandlungsfähigen, nuancierten Arnold-Schoenberg-Chors klanglich wie Kinder– oder besser: wie nagende innere Stimmen, Quälgeister, die in Sauls Kopf herumspuken. Bildet sich der alternde König diese Zurücksetzung schon ein, die bei ihm Hass und Gewalt gegen den jungen Konkurrenten auslöst? Gut möglich: David Hansen (David) ließ manch einnehmend zarte Phrase hören.

Sonore Posaunen, leise Pauken

Dennoch werden Saul und Jonathan (nobel und wortdeutlich: Andrew Staples) als Gefallene schließlich ausführlich beweint – nach einem Trauermarsch in C-Dur, wobei die Verbindung von sonoren Posaunen, leisen Paukenschlägen und Flöten auf Mozarts „Zauberflöte“ vorausweist. Die schillernden, hoch konturierten Klänge des Concentus Musicus erfreuten drei Stunden lang mehr als die nicht ganz homogene, vor allem bei den Sopranen etwas unidiomatische Solistenriege. Charakterisiert wurde scharf, besonders von Roberta Invernizzi als zürnender Merab und auch von Boesch, der als Saul ganz den Psychopathen hervorkehrte, während Martina Janková (Michal) stimmlich wie auf wunden Samtpfoten daherschlich. Jubel!

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.03.2015)

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