Bach erleben, als säße man beim Abendmahl

(c) Wiener Konzerthaus
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Osterklang: Philippe Jordan und Mitstreiter mit der Matthäuspassion.

Eines der wichtigsten Elemente der Musik ist die Stille – und deren Dauer. Was für Wirkungen es hervorrufen kann, wenn Interpreten mit Gespür für die ideale Abmessung des Schweigens zu Gange sind, war am Samstag bei Bachs Matthäuspassion unter Philippe Jordan im Wiener Konzerthaus zu erleben: Da berichtet der in Sachen Textdeutlichkeit schwer zu übertreffende Ideal-Evangelist Werner Güra von der Suche der Hohenpriester nach falschem Zeugnis gegen Jesus, hält inne, hält noch immer inne, dimmt seinen runden, höhensicheren Tenor herunter und wechselt die Farbe, um zu berichten. „Und funden keines.“ Fast noch stärker trifft die Pause, die er nach Jesu Ankündigung (mit großer baritonaler Autorität: Michael Volle) setzt, einer der Zwölfe werde ihn verraten. Wie sehr Stille quälen kann, Güra lässt es spüren, als säße man selbst mit beim Abendmahl.

Im Gegenzug lässt Jordan den Evangelisten nach dem gewaltigen „Sind Blitze, sind Donner“-Chor gleich attacca einem Soldaten das Ohr abschlagen, Dramatik pur. Der Beispiele wären noch viele, und es sind genau diese Momente, die wesentlich mitentscheiden, ob eine Matthäuspassion zum erschütternden Ereignis – oder nur tadellos musiziert wird (was freilich schwer genug ist).

Überragender Schönberg-Chor

Jordan schaffte es über dreieinhalb Stunden, fast jedes Detail bewusst und treffend zu modellieren, ohne dabei den Fluss zu hemmen. Die Wiener Symphoniker, die unter ihrem neuen Chef regelrecht aufblühen und dem durch vollendete Klangkultur bestechenden Schönberg-Chor an Homogenität in nichts nachstanden, folgten seinen Impulsen mit höchster Aufmerksamkeit und Elastizität.

Wie man wichtige Anregungen aus der Originalklang-Abteilung mit einem traditionellen Symphonieorchester umsetzt, hier war es zu erleben, eine perfekte Basis für die Entfaltung der Solisten: Wiebke Lehmkuhl bestach mit ihrem wunderbar an- und abschwellenden, expressiven Alt, Julia Kleiter hatte hingegen Schwierigkeiten, die Substanz ihres Soprans ins Piano zu tragen, Bernard Richters Tenor war vor allem kräftig, und Gerald Finley goss das Öl seines wohltönenden Bassbaritons über die letzte Arie „Mache dich, mein Herze rein“ aus, zum tröstlichen Ende.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.03.2015)

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