Bundestheater: Auf der Suche nach der verlorenen Dramaturgie

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Dass Robert Meyer Volksoperndirektor bleibt, ist sehr wahrscheinlich. Die Frage, wie die Spielpläne der drei Wiener Opernhäuser vernünftig zu koordinieren seien, wird dennoch irgendwann beantwortet werden müssen.

Die Chance, dass der Nachfolger von Robert Meyer als Direktor der Wiener Volksoper wieder Robert Meyer heißen könnte, ist hoch. Als deklarierter Publikumsliebling hat sich der Schauspieler im Haus am Gürtel die Stellung eines veritablen Prinzipals erarbeiten können. So war das in Wien auch im Biedermeier: Wenn der Chef auf der Bühne erschien, war sein Haus zum Bersten voll.
Dass es einer Darstellerpersönlichkeit, die sich gerade auf das volkstümliche Repertoire jener Ära so hervorragend versteht, gelungen ist, eine solche wienerische Tradition wieder aufzunehmen, darf als erfreuliches Kuriosum gewertet werden.

Da die Auslastung der Volksoper in Meyers Ära gestiegen ist und der Direktor gern im Amt bleiben möchte, wird der zuständige Minister den Teufel tun und ihm die Vertragsverlängerung verwehren.

Gewonnen wäre mit der vorhersehbaren Ausweitung der Meyer-Zeit in der Volksoper eine gewisse Galgenfrist, um sich im stillen Kulturpolitiker-Kämmerlein die Frage durch den Kopf gehen zu lassen, wie es mit dem Haus nach Meyer weitergehen soll. Die Zukunftsperspektive ist so deutlich nicht.

Verdoppelungen in den Spielplänen

Bis zum Amtsantritt Robert Meyers war das Profil der Volksoper relativ klar definiert. Im Bundestheater-Gesetz steht, das Haus sei als „repräsentatives Repertoiretheater für Oper, Spieloper, Operette, Musical und für Ballett und modernen Tanz“ zu führen. Eindeutig ist damit die Ergänzungsposition der Volksoper zur Staatsoper definiert, die ebenso repräsentativ ein Repertoire „für Oper und Ballett mit umfassender Literatur“ zu pflegen hat.

Weit weniger klar bildet sich diese Struktur in der Realität der Spielpläne ab. Das Profil der Volksoper lautet heute in Wahrheit: „Robert Meyer“. Man kann den Spielplan einteilen in Vorstellungen, an denen der Impresario selbst mitwirkt und solche, in denen sein Name nicht auf dem Abendzettel steht.

Die gesetzlich vorgeschriebene Pflege der Operette gelang früher auf viel breiterer Basis, und vom Genre Spieloper ist seit Langem nur noch ziemlich wenig in den Monatsplänen zu finden.

Wie reich war – etwa noch in der Ära Karl Dönchs, des letzten echten Prinzipals, den die Volksoper vor Meyer hatte – das Angebot: Nebst „Zar und Zimmermann“ oder „Die lustigen Weiber von Windsor“ bewies man, dass sich auch in vermeintlichen Randgebieten im Repertoire jüngeren Datums spannende Titel finden. Nebst „Tiefland“ oder „Notre Dame“, „Die Liebe zu den drei Orangen“ oder „Evangelimann“, die immer schon Hausrecht genossen, gab man Blachers „Preußisches Märchen“ oder Weinbergers „Schwanda, der Dudelsackpfeifer“. Zwischen Lortzing, Marschner, D'Albert, Zemlinsky oder Reznicek gäbe es manches Kleinod wiederzubeleben oder zu heben.

Stattdessen kommt es heute am Gürtel zu kräftigen Verdoppelungen des Angebots: So sinnvoll es im Sinn einer wienerischen Operndramaturgie sein kann, dass ein Haus etwa Mozarts Da-Ponte-Zyklus im originalen Italienisch, ein zweites auf Deutsch im Repertoire hat, so wenig einsichtig ist es, warum man am Gürtel „Tosca“, „Salome“, „Turandot“ oder „Fidelio“ spielt, unter Hintanstellung von Operette, Raritäten, Spieloper.

Wien hat derzeit die Möglichkeit, in drei Häusern eine international attraktive, wirklich ausgreifende Spielplanvielfalt anzubieten. Zu den beiden Bundestheatern kommt das städtische Theater an der Wien, das als Stagione-Haus kompliziertere Produktionen in Serie spielt und so die Fülle des Gebotenen wirkungsvoll ausweiten kann.

Querschüsse gegen Repertoiretheater

Die zuletzt des Öfteren lancierten Querschüsse, ein Opernhaus sei heutzutage nicht mehr konkurrenzfähig als Repertoiretheater zu führen, entkräftet die Staatsoper Tag für Tag. Gerade die laufende Spielzeit bot und bietet beinah lückenlos exzellent besetzte Aufführungen, beweist, dass pro Saison bis zu 50 Titel bei vergleichsweise sehr wenigen Schließtagen auf hohem Niveau zu halten sind. Wobei sich den Gastspielen der internationalen Spitzenstars bemerkenswerte Auftritte und Debüts der jungen Ensemblemitglieder hinzugesellen.

Die vielfältige Mischung, die ein Repertoirehaus auch Orchester und Chor abverlangt, gilt anerkanntermaßen als ideale Trainingssituation. Die eminente Belastung eines täglich wechselnden Spielplans sorgt bei Volks- und Staatsopernorchester für jene Flexibilität und Spontaneität, die beispielsweise den Staatsopernmusikern auf den internationalen Konzertpodien zu ihrem philharmonischen Spitzenrang verhelfen.

Dergleichen ohne Not infrage zu stellen, heißt an den Grundfesten der Musikstadt Wien zu rütteln. Wichtig wäre, die besagte wienerische Dramaturgie für eine Zeit nach Robert Meyer neu zu beleben. Die Definitionen des Bundestheater-Gesetzes bieten die Basis; sie mit Leben zu erfüllen, bedürfte es eines Prinzipals, der die Volksoper musikalisch wieder von Grund auf erneuert. Und einer Spielplankoordinierung zwischen allen drei Häusern.
Der wahre Reichtum der Musikstadt Wien kann sich nämlich nur Tag für Tag in jenem Repertoirebetrieb voll entfalten, der weltweit bereits ziemlich einzigartig ist.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.04.2015)

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