Max Raabe: Freifahrtschein ins Glück

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Max Raabe über Fliege und Sakko, die er schon als Kind trug, über das Frivole und warum man nicht einfach kopieren darf.

Zuletzt kam Max Raabe nur mit seinem famosen Pianisten Christoph Israel. Nun lockt er wieder mit seinem Palastorchester in die Wiener Stadthalle. Musik, sagt Raabe, hat zu allen Zeiten eine eskapistische Wirkung: „Für die Dauer eines Films oder eines Musikstücks hält die Glückseligkeit Einzug“, erklärt der Chansonnier. Sein Design ist wohl durchdacht, er selbst sieht das so: „Ich übernehme vieles aus der Vergangenheit. Meine Garderobe ist mitteleuropäisch. Die größten Spießer tragen Jeans.“


Ihr letztes Album „Eine Nacht in Berlin“ ist ein klandestines, live eingespieltes Best-Of-Album. Wie schwierig war es, die Lieder auszusuchen?

Nächste Frage, bitte. Nein, im Ernst, es ist eine repräsentative Bestandsaufnahme. Neben Klassikern der Zwanzigerjahre sind auch Stücke vertreten, die ich mit Annette Humpe geschrieben habe. Man sieht, dass die Programmpunkte ineinandergreifen, dass sie eine Einheit sind. Das ist das Schöne.


Orientieren Sie sich im Produktionsprozess an der Qualität der alten Chansons?
Ganz im Gegenteil. Man muß ja aufpassen, dass man nicht einfach kopiert und das macht, was es schon gegeben hat. Ich habe früher immer gesagt, ich schreibe keine Liebeslieder, weil es die schönsten ja schon gegeben hat. Aber mit der Hilfe von Annette bin ich darauf gekommen, dass man sozusagen in dieser Haltung schreiben kann, aber mit modernem Vokabular. „Ich liebe dich“, das hört man bei uns nur zwischen den Zeilen. Durch die musikalische Linienführung ist es ganz klar, dass das etwas Zeitgenössisches ist, trotzdem ist es ganz geschmeidig eingewoben in dieses alte Repertoire.


Zuweilen häufen sich die frivolen Lieder in Ihren Konzertabenden. Gibt es ein neu aufgeflammtes Interesse an erotisierendem Liedgut?
Dieses Interesse gab es wohl zu allen Zeiten. Von jemandem, der im Frack in seriösen Konzerthäusern auftritt, würde man eher Schumann oder Schubert erwarten. Und dann erzählt der da oben Dinge, die eigentlich so nicht artikuliert werden in der Öffentlichkeit. Daraus ergibt sich eine gewisse Spannung, die ich durchaus genieße.


„Anton Reiser“ von Karl Philipp Moritz soll Ihr Lieblingsroman sein, eine Art negativer Bildungsroman, der den Abgrund zwischen Ich und Welt zeigt, sowie den konsequenten Versuch einer Flucht in die Ästhetik. Ist das ein Sujet, mit dem Sie sich identifizieren?
Anton Reiser sucht ja und schwankt, ist unsicher und eitel, wandert herum und läßt sich begeistern und macht vieles mit. Das ist aber auch schon alles. Es ist ein sehr schöner Roman, der mich, als ich ihn sehr jung gelesen hatte, sehr berührt hat. Es gibt natürlich viele Lieblingsbücher. Ich hätte auch Tristam Shandy nennen können. Dennoch würde ich nicht sagen, daß in diesen Büchern mein Credo verankert liegt. Andererseits sagen mir die beiden genannten Bücher weit mehr zu als Charles Bukowski.


Auch die Kunst der Weimarer Republik, an die Ihre Musik oft gemahnt, wies stark eskapistische Tendenzen auf. Ist diese Flucht ins Schöne nicht doch der Kern Ihres Konzeptes?
Letztlich ist es das schon. Für die Dauer eines Films oder eines Musikstücks hält die Glücksseligkeit Einzug. Etwa in einem Sujet, wo der reiche Graf das arme Ladenmädel heiratet. Im Grunde variieren wir das auf mannigfaltige Weise. Wenn ich mit dem Palastorchester die Bühne betrete, dann hat das Publikum sozusagen den Freifahrtsschein ins Glück. Dass historisch gesehen die Sache Ende der Dreißigerjahre prekär wurde, muß man wissen, aber man kann keinen Baum entwurzeln, bloß weil er in dieser Zeit gepflanzt wurde. Die Musik der Weimarer Republik ist zwar noch untadelig, arbeitet letztlich aber mit den gleichen verführerischen Mitteln wie die damalige Politik. Das muß man mitreflektieren, wenn man sich an der eigentümlichen Kraft dieser Musik erfreut.


Sie wuchsen auf dem Land auf. Wann hat die Eleganz Einzug in Ihr Leben gehalten?
Meine Mutter hat uns jeden Sonntag mit Fliege und Sakko ausstaffiert. Ich bin in den Sechzigerjahren aufgewachsen. Da war das normal. Da sind alle so rumgelaufen. Sonntags kamen die Onkels und Großväter auf Besuch, und da ist man fein gekleidet bei Tisch gesessen. Weste und Uhrkette, Schlips und Kragen. Bei meinem Bruder ist davon nicht viel übrig geblieben. Bei mir mehr. Es liegt nicht alles an der Erziehung. Man trifft schon als junger Menschen seine Entscheidungen selbstständig.


Die Musiker der Sechzigerjahre wollten nicht unterhalten. Das war verpönt. Carlos Santana sprach gar einmal davon, man wolle die molekulare Struktur der Hörer verändern. Wie ist Ihre Haltung zur Unterhaltung?
Ich habe keinerlei Probleme mit dem Begriff Entertainment, obwohl ich kein Freund von Anglizismen bin. Die Musik, die ich singe, ist geschrieben worden, um zu unterhalten. Mein Ehrgeiz ist, die Leute aus der Realität zu reißen. Sie sollen tunlichst während meines Konzerts nicht daran denken, ob ihr Auto im Parkverbot steht. Sie sollen sich komplett darauf einlassen, was da zu hören ist.


Sind Sie vergangenheitsorientiert?
Ich übernehme vieles aus der Vergangenheit, trotzdem ist mein Mobiliar nicht genauen Stilepochen zuzuordnen. Meine Garderobe, würde ich sagen, ist eher zeitlos mitteleuropäisch.


Blue Jeans verabscheuen Sie so rührend. Warum?
Die größten Spießer tragen Jeans. Ich habe noch nie mit Garderobe provozieren wollen. Damit Protest auszudrücken, finde ich albern. Und wenn ich das wollte, wäre die Jeans immer noch das letzte Kleidungsstück, was man dazu bräuchte. 


In Ihrem Repertoire ist immer wieder „Ein Lied geht um die Welt“, das einst der wunderbare Joseph Schmidt gesungen hat. Er war ein tragischer Held, ein lyrischer Tenor, der wegen seiner geringen Körpergröße nie in der Oper singen durfte. Wie ist Ihr Blick auf ihn?
Er hatte eine unglaubliche Stimme, und sein Gesang war voller Feinheiten. Und da war so eine Traurigkeit darin, etwas unglaublich Ergreifendes im Ton. Wahrscheinlich würde man ihn auch heute nicht auf die Opernbühne lassen, weil es schwierig wäre, ihn als Helden zu inszenieren. Immerhin hat er eine enorme Karriere gemacht, im Film, im Radio, mittels Platten.


Warum berührt ein Joseph Schmidt soviel mehr als etwa ein Jonas Kaufmann, der sich jüngst am selben Repertoire versuchte?
Das hat wohl auch mit der Aufnahmetechnik zu tun. Diese Kondensatormikrophone vermittelten eine starke Direktheit. Alles war mono. Das fährt wie eine Lokomotive auf den Hörer zu. 


Was mögen Sie an Berlin?
Ich lebe gerne in Berlin. Es ist keine schöne Stadt, aber für jemanden wie mich ist sie ideal. Man kann elegant ausgehen, wunderbar essen gehen. Es gibt drei Opernhäuser, viele Theater, Clubs und gleichzeitig ist es ganz unelitär. Die gesellschaftlichen Kreise mischen sich sehr. Künstlerszene, Bildungsbürgertum, Adel − alles überschneidet sich − es gibt keine festgefahrenen ­Zirkel.

Tipp

Max Raabe live: Bei den Salzburger Festspielen in der „Dreigroschenoper“ und am 4. und 5. Mai in der Wiener Stadthalle, Stadthalle.com

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