Apokalypsen und Phantasmen im Musikverein

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Christian Gerhaher und das Bayerische Staatsorchester brachten musikalische Untergangsszenarien.

„Und in dem Sturm und Wogenprall, in diesem Krieg aller Kriege, bleibt nichts als Bankrott und Schande, das vor Hunger verzehrte Gesicht eines Kindes, der Schrei einer Wahnsinnigen und der Tod.“ 1943 schrieb Jean Giraudoux das Schauspiel „Sodome et Gomorrhe“ – und entwarf schon im Prolog den Weltuntergang: Von hochgerüsteten Imperien ist da die Rede, von in Banken angehäuftem Gold, von verhungernden Menschen.

Im Wissen um die aktuell in Sturmwogen umgekommenen Flüchtlinge fragte man sich am Montag im Musikverein, ob diese Endzeitvision nicht exakt unsere Gegenwart beschreibe. Das liegt freilich auch an der Musik von Karl Amadeus Hartmann, die nach einem halben Jahrhundert nichts von ihrer unbändigen Kraft eingebüßt hat. „Gesangsszene“ nannte der 1963 verstorbene Komponist die Vertonung dieses Dramenprologs, es war sein letztes Werk, blieb unvollendet. Ausgehend von einer Flötenarabeske durchbohren einander darin gleißende, spitze, scharfe Lineaturen des großen Orchesters, ballen sich zusammen, zerfallen wieder – ein Lied vom Tod, in dem der Bariton zwischen den Rollen eines Kommentators, Predigers und Betroffenen wechselt. Der phänomenal eindringliche Christian Gerhaher formulierte jede Silbe mit größter Präzision und überbrückte noch die sperrigsten Intervalle wie auf stimmlichen Samtpfoten. Schönheit, Schlichtheit, aber auch zürnende Vehemenz dienten bei seinem ungemein gestischen Vortrag als Schutz gegen falsches Pathos: Autorität mit beklemmender Wirkung.

Fantastische „Fantastique“

Das Bayerische Staatsorchester, sonst im Graben der Staatsoper, aber auch auf dem Konzertpodium aktiv, konnte unter Generalmusikdirektor Kirill Petrenko seine ungeheure dynamische Bandbreite, seine schillernden, penibel gemischten oder impulsiv hervorstechenden Farben und seine Phrasierungseleganz voll ausspielen – bei einem Programm, das auch abseits von Hartmanns apokalyptischer Szene allerlei Untergänge beschwor.

Schon bei Ravels „La valse“, in dem der Fall der Donaumonarchie als Tanz auf dem Vulkan erzählt wird, konnte kein Zweifel an einem herrschen: Petrenko ist ein unermüdlich befeuernder Ekstatiker – aber einer, der zuvor minutiös geprobt hat. Als versierter Operndirigent ergreift er jede Gelegenheit zu strettahaften Temposteigerungen, wie sie auch in der „Symphonie fantastique“ von Hector Berlioz die Liebesobsession und den finalen Drogenrausch des Autors plausibel unterstreichen. Doch den Überrumpelungseffekten, koloristischen Kapriolen und extrem ausgekosteten Kontrasten stehen auch feinsinnig modellierte Dialoge der Violingruppen links und rechts, säuberlich geschichtete Klangflächen (etwa im Adagio!) und persönlichkeitsstarke Bläsersoli gegenüber. Zusammen entfachte das einen Furor, dem nach verblüfftem Schweigen lauter Jubel antwortete.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.04.2015)

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