Volksoper: Paris, realistisch am Gürtel

ARCHIVBILD: FOTOPROBE 'LA BOHéME'
ARCHIVBILD: FOTOPROBE 'LA BOHéME'(c) VOLKSOPER WIEN/BARBARA PçLFFY
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In Harry Kupfers klassischer Inszenierung friert, lacht, liebt und leidet wieder „La Bohème“: auf Deutsch und ansprechend neu besetzt.

Ob die Architekten des Wiener Hauptbahnhofes Reinhart Zimmermanns „Bohème“-Bühnenbild gekannt haben? Die vielfach geknickten, zu Ketten verbundenen Pariser Dachflächen, auf die man aus der Mansarde hinabblickt und die sich für die zwei Mittelakte heben, bewirken jedenfalls ein unvermutetes Déjà-vu. Was mag da nun modern, was vielleicht altmodisch sein? Doch solche naseweisen Fragen verstummen rasch, wenn die Volksoper die Lebens- und Liebesnöte großstädtischer Jugend am Existenzminimum von anno dazumal als stimmungsvolle Wiederaufnahme auf die Bühne zurückholt.

Gewiss, heute würden die meisten Regisseure wohl mit stärkeren Aktualisierungen arbeiten. Doch Harry Kupfers in historischem Rahmen angesiedelte Inszenierung aus dem Jahr 1984 mag zwar an Details der Personenführung eingebüßt haben, nicht aber an ihrer glaubwürdigen Gesamtwirkung. Durchaus mit pittoreskem Brimborium im Quartier Latin, wo Chor und Statisterie mit großer Spielfreude herumwuseln, aber in Summe ohne Zuckerguss und so realistisch wie möglich erzählt Kupfer von Freundschaft, von einer durch Armut und Krankheit tragisch endenden Liebe – und scheut sich nicht, dabei auch den sozialen Zeigefinger sanft zu erheben.

Wenn sich dann auch noch ein ausgeglichenes junges Ensemble (acht Rollendebüts in sämtlichen großen und mittleren Partien!) in diesem Ambiente tummelt und Dirigent Marc Piollet eine klare Werksicht vermittelt, dann lohnt sich der Weg an den Gürtel allemal. Mit passend herbem Grundzug tönen Puccinis Kantilenen aus dem Graben, straff und doch süffig, nuancenreich, wenn auch stellenweise zu dominierend bei den dramatischen Aufwallungen. Die deutsche Sprache ist, wie immer, im Prinzip überzeugender als in der Ausführung: Oft wirken die Sänger unschlüssig, ob sie dem Original oder der Übersetzung gemäß phrasieren sollen. Immerhin lässt sich ein sympathischer Rudolf wie Vincent Schirrmacher weder von Orchesterfortissimi noch von geforderten hohen Tönen einschüchtern. Die etwas verhangen tönende Kristiane Kaiser wirkt fast zu scheu für Kupfers beherzte Mimì, haucht aber bewegend ihr Leben aus – umsorgt von Anja-Nina Bahrmann und Richard Šveda, die als resche Musette und hormonell überwältigter Marcel im Café Momus bald in bester Kupfer-Tradition schmusend über den Bühnenboden rollen, von Stefan Cerny als wackerem Colline und Daniel Ochoa als Schaunard.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.04.2015)

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