Schuberts himmlische Länge, leicht gekürzt

(c) Clemens Fabry
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Riccardo Muti und die Wiener Philharmoniker mit Haydn und Schuberts großer C-Dur-Symphonie.

Der übliche große Jubel für Riccardo Muti und die Wiener Philharmoniker zu Hause im Wiener Musikverein: Vor der Tournee nach Russland, auf der das traditionsreiche Gespann ab Montag vier Konzerte in St. Petersburg, Moskau und Klin geben wird, darf das heimische Publikum die Exportware begutachten – oder zumindest einen Großteil davon, denn extra für die Russen werden auch noch Verdis „Nabucco“-Ouvertüre und Tschaikowskys Fünfte erarbeitet.

An diesem Wochenende im Philharmonischen stehen hingegen gleichsam als Generalprobe Mozarts „Haffner“-Symphonie und Brahms' Zweite auf dem Programm, und schon vorab am Freitagabend erklangen im eigenen Muti-Zyklus des Musikvereins zwei Symphonien in C-Dur, die auch mit auf die Reise gehen: Haydns „Maria Theresia“ genannte 48. sowie Schuberts „Große“.

Wenn sich das Wort Barock vom portugiesischen Juweliersbegriff für eine unregelmäßig geformte Perle herleitet, dann ist die Klassik aus Riccardo Mutis Sicht makellos schimmernd und von perfekter Rundung – und auch Schubert zählt bei ihm zumindest in formaler Hinsicht eindeutig zu dieser Stilepoche. Die letzte Auseinandersetzung der Philharmoniker mit der „Großen C-Dur“ liegt gar nicht lang zurück: Im November lieferten sie unter Daniel Barenboim eine in den Tempi großräumig differenzierte, klanglich süffige, im herkömmlichen Sinn „romantische“ Lesart, die von weiten Legatobögen geprägt war und auch Retuschen am Notentext einschloss, etwa bei der strahlenden Wiederkehr des Einleitungsthemas in der Coda des Stirnsatzes, wo Barenboim (wie etliche Dirigenten) die Hörner zur Verstärkung der Holzbläser heranzog.

Muti: strenger, straffer. Dieser Ansatz lässt sich insgesamt auf Barenboims Bezugsgröße Furtwängler zurückführen, Muti dagegen ist hörbar der Toscanini-Schule verpflichtet. Er schreitet strenger, straffer, manchmal fast nüchtern zu Werke, unterscheidet genau zwischen Fortissimo und Fortefortissimo, erlaubt sich in der Einleitung weniger monumentale Breite (obwohl auch er die Alla-breve-Vorschrift nicht beim Wort nimmt) und in der ohne Änderungen auskommenden Coda weniger gestische Emphase. Die Übergänge erklingen organisch abgerundet – mit weniger dramatischer Beschleunigung als unter Barenboim etwa beim Wechsel vom eröffnenden Andante ins Allegro. Die Stelle ist ja eines der großen, heiklen Mysterien des Werks: Schuberts Partitur verzeichnet keinerlei Accelerando, „das Tempo scheint sich gar nicht zu ändern, wir sind angelandet, wissen nicht wie“, schrieb Schumann bewundernd in einem berühmten Aufsatz 1840.

Um die viel beschworene epische Breite des Werks hat sich nach Barenboim freilich auch Muti etwas herumgeschwindelt, indem er in Scherzo und Finale auf die verlangten Wiederholungen verzichtete. Was er mit den Philharmonikern jedoch genau traf, war das „Leben in allen Fasern, Kolorit bis in die feinste Abstufung, Bedeutung überall“ (Schumann): Schlicht, fast karg trat da etwa das sonst oft schon beim ersten Auftritt wonniglich tröstende F-Dur-Thema aus dem herben Marschtritt des zweiten Satzes hervor, um dann eine enorme Entwicklung zu nehmen. Wenn dann nach dem vernichtenden Höhepunkt in den Mittelstimmen der Streicher, nun in A-Dur, eine sich windende Sechzehntelfiguration hinzutritt, wird diese zur seelenvollen, unendlich anmutenden Melodie.

Verblüffend freilich, wie „romantisch“ der langsame Satz in Haydns „Maria Theresien“-Symphonie tönt und welch dramatische, ungewöhnlich aufgelöste Generalpause vor der Reprise er enthält, die auf Schubert vorausdeutet. Dabei ist das Werk sonst eher ein offizielles Stück, im Tonfall festlicher Verbindlichkeit abgefasst, verdüstert sich allerdings im Trio: Nuancen, die Muti und die Philharmoniker in klassizistischem Rahmen auskosteten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.04.2015)

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