München: Kirill Petrenkos Zwölftonluxus

(c) Bayerische Staatsoper/Hösl
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Die Bayerische Staatsoper startet einen Neuversuch mit Alban Bergs „Lulu“ in Friedrich Cerhas dreiaktiger Version: Musikalisch fulminant, szenisch völlig untauglich.

Alban Berg hat seine Oper „Lulu“ – wenn auch sehr frei – nach Schönbergs Zwölftonmethode komponiert. Das führt Musikfreunde auf die falsche Fährte. Wenige Opernpartituren des 20.Jahrhunderts, jene von Puccini und Strauss eingeschlossen, klingen so farbenprächtig, sinnlich, schillernd wie diese. Vorausgesetzt natürlich, der Dirigent versteht sich darauf, das dichte Geflecht dieser Musik locker und transparent zu halten. Und er animiert die Musiker, die melodischen Linien mit dem jeweils gerade dramaturgisch nötigen Ausdruck zu singen, zu rezitieren.

Die Wörter sind mit Bedacht gewählt, denn von den Instrumentalisten verlangt ein Komponist wie Berg dieselbe Beredtheit und belcanteske Beweglichkeit, die er von den Darstellern auf der Bühne erbittet – und meist (und auch diesmal anlässlich der Premiere in der Bayerischen Staatsoper) nur sehr eingeschränkt erhält.

Wer „Lulu“ über die Jahrzehnte in verschiedensten Häusern hören durfte, gewinnt freilich den Eindruck, der Münchner Generalmusikdirektor müsse während der Proben diesmal jeden einzelnen Takt quasi auseinandergenommen und nach gründlichem Putzvorgang die Teile und Teilchen wieder zusammengesetzt haben.

Es blitzt und blinkt in allen Registern

Tatsächlich blitzt und blinkt es da in allen Farben, die pittoreske Palette reicht von dunkel leuchtenden, in tiefster Tiefe wühlenden Schwarztönen bis zu schimmernden, feurigen Funkenflügen. Das Wunderbare daran bleibt freilich, dass die Syntax bei aller Feinarbeit an den einzelnen Vokabeln, ja Silben vollkommen verständlich bleibt.

In musikalischen Termini gesprochen: Petrenko und das Bayerische Staatsorchester spüren auch die melodischen Qualitäten in Bergs Musik auf und lassen sie über die Taktstrichgrenzen hin fließen, strömen, wuchern.

So entstehen vor allem die symphonischen Zwischenspiele in einer Lebendigkeit und Ausdruckskraft, wie man sie zumindest in der Ära seit der Uraufführung der dreiaktigen „Lulu“ (1979) noch nie erleben durfte.

Dass in diesem Werk Emotionen, Besessenheit, schiere Lust in klangliche Eruptionen umgemünzt werden, lehrten Momente wie das expressiv gesteigerte „Ostinato“ – das Zwischenspiel, in dessen Mitte die Musik im wahrsten Sinn des Wortes umkehrt.

Berg gelang es ja, theatralischen Effekt und strenge musikalische Konstruktivität in eines zu zwingen. Beides beherrscht Petrenko offenbar perfekt – weshalb unter seiner Führung die sonst leicht ermüdend wirkende Einbeziehung des Paris-Bildes sinnvoll wirkt: Dank der prägnanten Koloristik und Rhetorik der Musik werden Reprisenwirkungen, Symmetrien sinnlich erfahrbar. Schade, dass Petrenko nicht auch noch selbst inszeniert: Gerade im Paris-Bild versagt nämlich Dmitri Tcherniakov vollständig.

Der Regisseur und Bühnenbildner in Personalunion hat ein Labyrinth aus Glas auf die Bühne gestellt, in dem man alles oder auch gar nichts spielen kann und an dessen Wänden sich die Darsteller im Extremfall die Nase blutig schlagen. In dem Moment, in dem die Komposition szenische „Hilfe“ brauchte, stehen die Darsteller oratorisch-unbewegt um Marlis Petersen herum, die kraft ihrer umwerfenden Persönlichkeit und dank ihrer enormen stimmlichen Modulationsfähigkeit als Einzige im Ensemble die orchestralen Klänge vokal adäquat ergänzt: Diese Lulu ist wahrlich ein umwerfendes Weibsstück, kokett-unschuldig, raffiniert-einfach findet sie für jeden Mann – und auch für die mit herrlichem Alt begabte Gräfin Geschwitz der Daniela Sindram – den rechten Tonfall.

Vokal-szenisches „Teilzeit“-Engagement

Im Übrigen deckt die Besetzung jeweils nur Teilbereiche des Geforderten ab: von korrekt-musikalisch (Rainer Trost als Maler) über ausdrucksvoll rezitierend (Bo Skovhus als Dr. Schön) bis zu darstellerisch komödiantisch (Martin Winklers Athlet). Manche Partien, etwa der lyrisch wie heldisch geforderte Alwa (blässlich: Matthias Klink) scheinen heute, zugegeben, kaum zureichend besetzbar. Theater gespielt wird in ähnlicher „Teilzeit“-Attitüde: Details gelingen, vieles, was Berg in Musik gesetzt hat, ist mangels zureichender Dekors und Accessoires gar nicht umsetzbar. Ein Abend zum Hören...

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.05.2015)

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