"Götterdämmerung": Mit klarem Kopf in den Untergang

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Mit der "Götterdämmerung" ging in der Staatsoper Sir Simon Rattles erster Wiener "Ring des Nibelungen" in ein gediegenes Finale. Die großen Höhepunkte stellten sich fast wie von selbst ein.

Und schließlich ist die alte Welt der Götter doch noch gut untergegangen – im Widerstreit der Elemente aus Feuerring und Wasserfluten, wie es die letzten Minuten von Sven-Eric Bechtolfs Inszenierung via Projektionen suggerierten, besonders aber mit Saus und Braus aus dem Orchestergraben: Die „Götterdämmerung“ war wohl der insgesamt geschlossenste, stärkste Abend in Sir Simon Rattles erstem Wiener „Ring des Nibelungen“, dem bekanntlich ab 30.Mai ein weiterer in der gleichen Besetzung folgt.

Rattle, mittlerweile 60 und noch bis 2018 Chef der Berliner Philharmoniker, hat sich Wagners Tetralogie erst vergleichsweise spät in seinem Dirigentenleben erarbeitet: in bedächtigen Jahresschritten ab 2006 in Aix-en-Provence, parallel dazu ab 2007 bei den Salzburger Osterfestspielen, dort wie da mit den eher opernunkundigen Berlinern – ein von der Kritik keineswegs verhätscheltes Unterfangen. In Wien freilich entzerrte sich manches in Richtung lebendigen Musiktheaters, was Beobachtern andernorts wie orchestraler Solipsismus anmutete.

Rattles unterdessen nachgereifter „Ring“-Zugang war in den vergangenen zehn Tagen zwar von großer Liebe zum Detail getragen, schien aber insgesamt fragmentiert, so als hantle er sich von einer auffälligen Stelle zur nächsten. In der „Götterdämmerung“ fügten sich die Einzelheiten nun zu einem wesentlich dichteren Gesamtbild.

Mag sein, dass die in dieser Partitur schon zu einem engmaschigen Geflecht angewachsenen Leitmotive größeren Zusammenhang garantieren, mag auch sein, dass die unterschwellig spürbare Nähe des zweiten Aufzugs zur Grand opéra mit dem schallkräftigen Mannenchor Rattles dramatischem Instinkt entgegenkommt – jedenfalls haben sich die großen Höhepunkte fast wie von selbst eingestellt. Eine kühle Distanz blieb dennoch spürbar: Dieser Dirigent will klaren Kopf bewahren, nicht alle an den aufgepeitschten Klangwogen berauschen, am wenigsten sich selbst.

„Schubert auf Anabolika“

Die Philharmoniker profitieren klar von der investierten Kleinarbeit: Grandios etwa, wie butterweich die Posaune das düstere Fluchmotiv zu den letzten Takten jener Einflüsterungen intonierte, die Richard Paul Fink als etwas vordergründiger, aber markanter Alberich dem schlafenden Hagen wie Gift in die Ohren träufelte. Offen bleibt, warum Falk Struckmann nun vom Wotan gleichsam auf die Gegenseite wechseln wollte: Als Bariton lange Jahre verdienter Wagner-Recke von teilweise einschüchternder Stimmgewalt, gebricht es ihm beim Hagen an Durchschlagskraft und bedrohlicher Bassesschwärze. Gewohnt präsent, darstellerisch bewegend und bis auf vorübergehende Höhenschwächen auch stimmlich fulminant lodernd war dagegen die Brünnhilde der Evelyn Herlitzius: Hervorragend war nicht erst ihr Speereid, sondern schon die Kunde von Nothung in seiner Scheide, von der Trompete in kantablem Piano mit dem Schwertmotiv unterlegt. In solchen Momenten verdichteten sich akustisches Innen und Außen von Graben und Bühne zum packenden Drama.

Als „Schubert auf Anabolika“ charakterisierte Rattle einmal Wagners Singstimmen: Beim selbst noch in den heiklen Waldvogel-Erzählungen sicheren Stephen Gould als Siegfried wird das am deutlichsten, aber auch bei der eindringlich-noblen Waltraute von Anne Sofie von Otter. Caroline Wenborne führte als leuchtkräftige Gutrune das übrige Ensemble an, das auch in Rheintöchtern und Nornen gleichmäßig besetzt war: Das Schicksalsseil mag gerissen sein, nicht aber der Erzählfaden. Großer Jubel.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.05.2015)

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