Kammeroper: Spanische Stunden und abgegebene Brüste

(c) Armin Bardel/Kammeroper
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Durchaus originell verknüpft Philipp Krenn Kurzopern von Ravel und Poulenc. Doch während „Les Mamelles de Tirésias“ die Kammerfassung verkraftet, leidet Ravels feinsinnige Partitur sehr darunter.

Ein Mann, der zur Frau wird, eine Frau, der ein Bart wächst: Damit holt im Wien des Jahres 2015 niemanden mehr hinter dem Ofen hervor. Regisseur Philipp M. Krenn versucht auch gar nicht, bei Francis Poulencs Kurzoper „Die Brüste des Tirésias“ durch radikale szenische Zuspitzung doch noch zumindest ein Skandälchen zu produzieren. Und er widersteht zum Glück auch der Versuchung aktueller Anspielungen.

Radikal ist es freilich, Poulencs surrealistisch-hintersinnige Kurzoper mit Ravels „Spanischer Stunde“ ins Bühnenbett zu zwingen, denn unterschiedlicher könnten zwei Stücke kaum sein. Wie Krenn den Konnex trotzdem schafft, ist von der Idee her mehr geglückt als in der Umsetzung. Er serviert dem Publikum nicht „L'heure espagnole“, sondern die „Generalprobe“ dazu. Der erste Reflex: Nicht schon wieder. Dieser Dreh wird ja oft verwendet, wenn ein Regisseur mit einem Stück nichts anzufangen weiß und seine Hilflosigkeit mit V-Effekten übertünchen will. Nicht so bei Krenn. Auch dank extrem spielfreudiger Protagonisten – der Ensemblegedanke der Kammeroper scheint Früchte zu tragen – bringt er einen kurzweiligen Ravel auf die Bühne.

Dass er seine Sängerschauspieler zu krasser Überzeichnung anleitet, stört überraschend wenig. Mehr stört die Übertreibung seines Theater-im-Theater-Ansatzes. Auch dezenter angelegt hätte man's kapiert. Dann aber der Coup: Aus der hinzuerfundenen Figur des cholerischen Regisseurs der „Generalprobe“ wird im Poulenc der „Ehemann“ von Thérèse, die wiederum bei Ravel die unterdrückte Regieassistentin war. Und das alles in der Theatergarderobe! An Berichten über tyrannische Regie-Regime herrscht ja durchaus kein Mangel, und so lässt sich die Geschichte von der unterdrückten Frau, die Brüste und Kinderkriegen aufgibt, während ihr Mann als Reaktion einfach selbst 40.050 Kinder zur Welt bringt, so clever wie schräg in Gang bringen.

Die (sexuelle) Revolution ist abgesagt

In der Folge überzeugt Poulencs Einakter aber vor allem musikalisch: Gelsomino Rocco am Pult des Wiener Kammerorchesters musiziert mit viel Sinn für dramatische Zuspitzungen und bringt das Surreale am Stück fast besser zum Ausdruck als Krenn auf der Bühne. So schaffte der Abend auch musikalisch noch die Kurve: Während die Kammerfassung bei Poulenc überzeugte, eignete sich die „Spanische Stunde“ denkbar schlecht dafür (wie Rocco auch im Programmheft einräumt). Das Glitzern und Flirren, das prächtige Farbenspiel von Ravels Partitur mit ihrer einkomponierten Erotik lässt sich kaum ins Minimundusformat übersetzen, oft schien gerade das Wesentliche zu fehlen.

Gesanglich agierte das Ensemble weitgehend homogen. Ausreißer nach oben waren Natalia Kawalek (Ravel: Conception) mit ihrem viel versprechenden, (effekt-)sicher geführten Mezzo und Tobias Greenhalgh (Ravel: Ramiro) mit seinem kraftvollen, dabei nicht uncharmanten Bariton. Auch die quirlige Gan-Ya Ben-Gur Akselrod (Poulenc: Therèse) mit ihrem schlanken, klaren Sopran und Vladimir Dmitruk (Ravel: Gonzalve), dessen Tenor an Ausdruckskraft gewonnen hat, wussten zu überzeugen. Ben Connor als Ehemann (Poulenc) legt in Sachen Differenzierung womöglich noch zu.

Am Ende ist die (sexuelle) Revolution abgesagt, alles ist wieder beim alten, die Bühne, also Krenns Theatergarderobe, hat sich in die Uhrmacherwerkstatt zurückverwandelt. Wie bei einer Uhr ist der Ausgangspunkt erreicht. Fast.

Termine: 3., 6., 8., 16., 18., 20., 23. Juni.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.06.2015)

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